Juli Zeh, Leere Herzen

Juli Zeh, Leere Herzen

Eine dystopische Geschichte von einer der spannendsten deutschen Autorinnen der Gegenwart, Juli Zeh. Nicht so gut wie Unter Leuten – aber das war ja auch was für die ewige Bestenliste – aber ein kleiner, würziger akustischer Snack, der uns die Fahrt von Wien nach Laibach deutlich verkürzt hat. (Und die Ablenkung haben wir gebraucht, sind wir doch bei Seebenstein draufgekommen, dass wir unsere Pässe zuhause vergessen hatten!!!)

Es spielen nicht viele Personen mit in Leere Herzen. Man behält leicht den Überblick. Vor allem auch, da eine Erzählerin zum Einsatz kommt.

Ist Juli Zeh in Unter Leuten noch eher liebe- und humorvoll mit ihren ProtagonistInnen umgegangen, so kommt Leere Herzen genauso kalt rüber, wie der Titel es verspricht. Es ist eine zynische Geschichte, die jedoch völlig logisch das Heute in eine post-Merkel-Ära fortschreibt. Dass was nicht „stimmt“, zeigt sich nur darin, dass die Protagonistin Britta an chronischer Übelkeit und Bauchschmerzen leidet. Kein Wunder, betreibt sie doch eine Vermittlungsagentur für Selbstmörder. Wenn schon freiwllig Sterben, dann für ein „höheres Ziel“. Welches Ziel, das bestimmen Britta und Babak mit ihrer Agentur „Die Brücke“. Die Kunden reißen sich um Brittas Klienten, denn nichts ist so gefährlich, wie jemand, der bereit ist zu sterben. Doch neue Konkurrenz drängt auf den Markt. Bald ist nicht nur Brittas Firma bedroht sondern auch ihr Leben.

Die Geschichte ist nicht so packend, wie sie sein könnte. Dazu ist sie zu kalt erzählt. (Ich habe auch dauernd den Titel „Kalte Herzen“ im Kopf …) Aber das passt ja auch wieder ganz gut. In bisschen mehr als 2h ist man durch. Und dann ist man schon ein bissl erschüttert und fragt sich, ob das nicht alles so oder so ähnlich wirklich passieren könnte… (Wobei das mit „Merkel muss wieder her“ schon ein bissl deppert ist!)

Leere Herzen gibt´s auch als Hörbuch. Hier gibt´s einen interessanten Vergleich zwischen Hörbuch und Hörspiel.

Juli Zeh, Leere Herzen
Hörspiel mit Bettina Hoppe, Rainer Bock, […] MDR Kultur, 978-3-8445-2912-8
2 CDs, Gesamtlaufzeit 2h 6m
Hier geht´s zur Hörprobe.

Was allgemein nervt:

Es gibt keine mir bekannte App, die es mir erlaubt, ein Hörbuch, das auf CD daherkommt, ordentlich auf mein iPhone zu übertragen. Ich hab dann am iPhone „je zweimal „Titel1“ und „Titel2“ etc., manchmal auch komplett durcheinander. Unhörbar. Bitte: Wir können Teslas ins All befördern, mein Telefon weiß jederzeit wo ich mit wem bin, Roboter besiegen Menschen beim GO, da wird´s doch auch möglich sein, ein kleines Programmerl zu schreiben, mit dem das funktioniert! Danke.

Dieses Hörbuch wurde mir übrigens gratis zur Verfügung gestellt von Randomhouse.de

Unbedingt hören: Mariana Leky, Was man von hier aus sehen kann.

Unbedingt hören: Mariana Leky, Was man von hier aus sehen kann.

Solltest du dir je überlegt haben, selbst einen Roman zu schreiben, wird dich dieses (Hör-)Buch eines Besseren belehren. Es kann nur wenig kommen, das klüger + feinfühliger + liebevoller + komischer (im Sinne von skurril)  daherkommt, als Mariana Lekys Was man von hier aus sehen kann. Ich hab sowas noch nie gelesen (gehört). Am ehesten erinnert es mich an skandinavische Komödien (Ein Mann namens Ole; Elling). Jedenfalls ganz großes Kino, das uns aus diesem kleinen Dorf im deutschen Westerwald geliefert wird. Ein Buch für meine ganz persönliche Bestenliste!

Dieses Buch wurde ohne jeden Zweifel von einer alten, schönen Seele geschrieben …

Selma sieht den Tod voraus. Immer wenn ihr ein Okapi (sic!) im Traum erscheint, wird jemand aus dem Dorf sterben. Im Angesicht des eventuell bevorstehenden Todes – Selma weiß nicht wen es treffen wird – wollen die DorfbewohnerInnen lieber ihre Angelegenheiten in Ordnung bringen. Dass das mitunter noch viel komplizierter ist, als sie sich das ohnedies vorstellen und mitunter Jahrzehnte dauern kann, davon handelt dieses großartige kleine Buch. Und von Aufhockern und Verschreckungen und wie man sie wieder los wird und von einem buddhistischen Mönch, den man auf keinen Fall mehr loswerden will.

Das ideale Weihnachtsgeschenk für alle, die keine Action brauchen um bewegt zu sein.

Ihr solltet euch (bzw. den Beschenkten) unbedingt (auch) die Hörbuch-Version gönnen.  Sandra Hüllers Stimme passt perfekt in diese quasi-skandinavische Umgebung.  Sie trifft jeden Ton genau und trägt – ich hab das Buch (noch) nicht gelesen – ungemein zur Stimmung der Geschichte bei.

wasmanvonhieraussehenkann
Mariana Leky, Was man von hier aus sehen kann
Gesprochen von: Sandra Hüller
Spieldauer: 08 Std. 01 Min.
Anbieter: tacheles! / Roof Music

Hier geht´s zur Hörprobe

 

Ronja von Rönne, Heute ist leider schlecht

Ronja von Rönne, Heute ist leider schlecht

Wer auf den Misantropen wohnt, ein Wochenendhäuschen in der Fickt-Euch-Allee sein Eigen nennt, wer auf Sarnagel-Humor gepaart mit deutscher Schnoddrigkeit steht, ist bei der Frau mit dem coolen Namen genau richtig. Heute ist leider schlecht ist eine Kolumnensammlung für schlechte-Laune Tage, oder eigentlich jeden Tag, denn schlecht kann der Tag ja noch werden. Nicht umsonst heißt das Buch im Untertitel „Beschwerden ans Leben“.

Ich lese ja immer mit dem Bleistift in der Hand, um mir Bemerkenswertes zu markieren. (Übrigens ein irrsinniger Nachteil von Hörbüchern! Das mit dem Markieren hab ich bis jetzt nicht durchschaut.) Bei von Rönne legte ich den Bleistift gar nicht mehr aus der Hand. Diese noch so junge Frau (Jahrgang 1992!) ist manchmal bemerkenswert weise – teil-weise sozusagen. (Bitte um Applaus für diesen großartigen Wortwitz!) Eine scharfzüngige Beobachterin („Der moderne Lebenslauf: Geburt, Schule, Arbeit, Burn-out, Ayurveda-Auszeit in Indien und Bikram-Yoga-Kurse in Berlin-Mitte.“), eine Nix-Scheißerin, eine Shitstorm-Küche quasi. Naja mit ein bisserl was über 20 darf frau auch noch mit antifeministischem Blödsinn provozieren. Wer fesch und jung ist, glaubt ja wirklich noch an die eigene Unverwundbarkeit!

Wer schon mal daran gedacht hat, ein Buch zu schreiben muss die Kolumne „So ist Schreiben“ lesen: Köstlich! (Natürlich ein bisserl kokett nachdem Wir kommen, ihr Debutroman nicht nur beim Feuilleton ganz gut ankam.)

Alle Paarungswilligen (im Sinne von Paar-Werdung, nicht das was ihr denkt!) werden auch beim Beginn der Kolumne „Wie man eine gesunde Beziehung führt“ ein Déja-vu haben: „Als Erstes trifft man sich in einer Bar und guckt. Dann schraubt man seine Ansprüche herunter und guckt nochmal.“

Das Kapitel über den Urlaub punktet mit der tiefen Einsicht: „Wer im Urlaub unglücklich ist, lernt vor allem eines: dass Zufriedenheit nichts ist, was sich automatisch einstellt, wenn nur alles Unangenehme aus den Tagen radiert wird, dass das Verzagen tiefer sitzt, knapp unter der Bauchdecke vielleicht.“

Oder das Kapitel über Familie: „Denn natürlich heißt Familie nicht „Leute mit wuscheligen Haaren und gutsitzenden Hosen, die ich aufgrund ähnlicher politischer Einstellungen und Humorverständnis ganz fabelhaft finde. Familiengeschichten  sind deshalb interessant und Stoff für Romane und Filme, weil Familie im seltensten Fall aus Leuten besteht, mit denen man so auch befreundet wäre. Familie das ist ist ein unordentlicher Knoten, ein Haufen komischer Leute mit irritiereden Interessen und seltsamen Frisuren, die ständig mit vollem Mund reden und alle die gleiche Stupsnase haben. In den allermeisten Fällen fragt man sich ungefähr ab dem achten Lebensjahr, ob man nicht den Einhorn-Schulranzen (Alles klar, von welcher Generation wir sprechen ? Anm. d. Red.) mit ein paar belegten Broten und der Kuscheldecke füllen sollte, um dann weit, weit fort zu laufen von diesen furchtbaren Menschen, die behaupten einen zu lieben, und einem dann Rote Beete zu Abendessen vorsetzen. Später wird das nicht besser. Eltern, das sind im besten Falle Leute die einem schöne Dinge (Koma-Saufen) verbieten und zu schrecklichen Dingen (Lebertran-Saufen) zwingen wollen. Eltern haben keinen Geschmack. Eltern hören schlechte Musik. Eltern sind scheiße angezogen. Eltern geben wenig Taschengeld. Eltern verstehen gar nichts. Eltern wissen  nicht was Instagram ist. Opfer. (…) Familie, das ist ein einziges, großes „Trotzdem“.“

Ronja von Rönne Heute ist leider schlecht: Beschwerden ans Leben. S. Fischer Verlag Frankfurt am Main 2017 978-3-596-03703-2 208 Seiten
Ronja von Rönne
Heute ist leider schlecht:
Beschwerden ans Leben.
S. Fischer Verlag
Frankfurt am Main 2017
978-3-596-03703-2
208 Seiten

Erster Satz: „Wenn ich an meine Kindheit denke, erinnere ich mich nur an Millionen Kieferorthopädenbesuche und AOL-CD Roms.“

Wer trotz dieses ersten Satzes jetzt mehr von von Rönne lesen möchte, kann die Welt am Sonntag abonnieren oder aber ihren Blog Sudelheft lesen. Dort sind auch viele Fotos, die klarmachen, wo für mich die Parallelen zu Stefanie Sargnagel liegen 😉

Han Kang, Die Vegetarierin

Han Kang, Die Vegetarierin

Es war eine demokratische Entscheidung des Literarischen Quartetts (Aufmerksame LeserInnen werden bemerkt haben, dass uns schon ein Mitglied abhanden gekommen ist…), Die Vegetarierin der Südkoreanerin Han Kang zu lesen. Meine Stimme hatte sie nicht bekommen. (Ich hatte zum 2. Mal erfolglos für Peter Henisch Suchbild mit Katze gevoted.)  Trotz des vielen Lobes – „Meisterwerk“ Faz, „…bigger than Life“ Tagesspiegel, „ein Fest“ The Guardian und der direkten Anordnung „Sie müssen dieses Buch lesen!“ von Arnon Grunberg – war ich skeptisch: Skurrilität mag ich nur in Verbindung mit Humor. Und SüdkoreanerInnen waren mir bisher nicht als besonders witzig bekannt. Wobei ich zugebe, nur sehr wenige SüdkoreanerInnen zu kennen.

Aber abgemacht ist abgemacht. Ich hab mich in Die Vegetarierin hineingequält. Es ist nicht so, dass es nicht interessant wäre. Der schnörkellose Stil, die totale Unaufgeregtheit trotz des aufwühlenden Inhaltes, die doch sehr schräge Idee. Aber es hat mich nicht gepackt. Gar nicht. So sehr nicht, dass ich 30 Seiten vor Schluss (!) aufgehört habe zu lesen. Es hat mich schlichtweg nicht mehr interessiert. Das Bisschen Beziehung, das ich zur Protagonistin aufgebaut hatte, wurde jäh gekappt. Die neue Hauptdarstellerin war bisher kaum in Erscheinung getreten. Eine Randfigur, die kurz vor Schluss ins Zentrum der Geschichte gerückt wird.

Soll sein, aber nicht mit mir. Meine Lebenszeit ist mir mittlerweile zu knapp, um mich zu langweilen. Han Kang wird, das Lesezeichen auf S.161 verewigt, in die Bibliothek verbannt.

Meiner Freundin Ines hingegen hat das Buch sehr gut gefallen. Sie fand es sogar sexy!

Wer sich selbst ein Urteil bilden will, kann das Buch bei meiner neuen Lieblingsbuchhandlung Hartliebs bestellen. Hartliebs liefert versandkostenfrei. No need for Amazon!

Han Kang
Die Vegetarierin
aufbau Verlag
978 3 351 03653 9
190 Seiten

Erster Satz: „Bevor meine Frau zur Vegetarierin wurde, hielt ich sie in jeder Hinsicht für völlig unscheinbar.“

 

 

 

Friederike Gösweiner, Traurige Freiheit

Friederike Gösweiner, Traurige Freiheit

Ich gehöre jetzt einem Literarischen Quintett an! Ist das nicht schön schrullig? Auf Betreiben meiner Freundin Ines treffen einander 5 Frauen um über ein Buch zu sprechen, über dessen Wahl demokratisch abgestimmt wurde.

Ich hatte  ja Peter Henisch, Suchbild mit Katze, nominiert. (Wie auf merksame LeserInnen wissen, liebe ich Henisch!) Außerdem gingen John Irving, Straße der Wunder, Heinrich Steinfest, Der Allesforscher und Martin Suter, Elefant, ins Rennen. Die Demokratie verdammte mich jedoch zu Traurige Freiheit.

Na wenigstens eine Frau, dachte ich, eine österreichische. Der Klappentext machte mir Angst. Die Geschichte beruflichen Scheiterns könnte man eventuell persönlich nehmen. Hoffnung machte mir hingegen das „Sprachkunstwerk“, das mir Klaus Zeyringer von Literatur und Kritik am Buchrücken versprach.

Ich mach´s kurz: Es gibt 2 gute Dinge an Traurige Freiheit: Es hat nur 143 Seiten und den Satz „Von hier nehmen, das musste man das Leben.“ Der Rest ist eine Aneinanderreihung von Ödnis inhaltlich wie sprachlicher Natur. Banale Metaphern, die alle mit irgendwie „Fallen“ zu tun haben.

„Es gab ja kein Entrinnen, nichts konnte den Mann retten. Und er war ganz allein, da war niemand sonst, niemand, der Notiz nahm von ihm. Er war ganz allein mit sich auf dem Foto. Er fiel und fiel und fiel, haltlos (sic!), verloren, allein. Es war bestürzend (sic!), das zu sehen (…)“

Echt jetzt: „haltlos“, „bestürzend“? Vielleicht ist diese begriffliche Flachheit ja schon wieder genial, bloß erkenne ich es halt nicht …

Andere sehen das ja auch anders. Sonst hätte Gösweiner wohl nicht den Öster. Buchpreis verliehen bekommen. Auch das Restquartett (oder ist das jetzt das Restqunitett?) war nicht ganz so kritisch. Christine war sogar sehr angetan! Es wäre ein Roman typisch für die Generation Y. Eine Generation, die nie gelernt hätte zu scheitern und letztlich daran zerbrechen müsse. Der fehlende sprachliche Manierismus wurde als mutig und konsequent beurteilt. Als Sprache der Zeit.

Schön war jedenfalls, mit anderen Literaturinteressierten darüber zu sprechen. Zu hören, dass es durchaus auch eine andere Rezeption als die eigene gibt. Dazu hat mensch ja nur selten die Gelegenheit. (Mit dem Feuilleton lässt sich schwer in Dialog treten…)

Friederike Gösweiner Traurige Freiheit Verlag Droschl 9783854209768 143 Seiten
Friederike Gösweiner
Traurige Freiheit
Verlag Droschl
9783854209768
143 Seiten

Erster Satz: „Dann hat es wohl keinen Sinn mehr“, sagt Hannah.

Bis zum nächsten Mal wird´s eine Weile dauern. Wir haben uns den 900 Seiten starken Roman Ein wenig Leben der Hawaianerin Hanya Yanagihara vorgenommen, den mir am selben Tag auch meine Freundin Petra ans Herz gelegt hatte.

Meanwhile höre ich den zweiten Band des neapolitanischen Familienepos´ von Elena Ferrante. Seeehr zu empfehlen!


PS: Danke für den Motivationsschub an Flo Schmidt, der einen neuen Blogbeitrag urgierte & auch bekam 😉

Lori Nelson Spielmann – The Life List

Lori Nelson Spielmann – The Life List

/dafür wurde das Adjetiv „pathetic“ erfunden /

Muss ja was dran sein, wenn Lori Nelson Spielmann in wirklich jedem Frauenmagazin als Must-Urlaubslektüre angepriesen wird. Außerdem ist das englische Buchcover wirklich nett.

Leider gerät die – an sich vielversprechende Grundidee (Mutter hinterlässt Tochter das millionenschwere Erbe nur dann, wenn diese 20 Dinge tut, die sie als Teenager auf eine „life list“ geschrieben hat) – relativ rasch zur Mega-Schnulze. Erschwerend kommt der amerikanische Drang hinzu, gleich alles und jeden mit verbaler Liebe zu überschütten. Add some Pathos und schon hast du The Life List.

Ein Buch wie eine Malakofftorte mit Schlagobers! Manchmal gelüstet einen danach, aber schon nach dem ersten Bissen bereut man´s.

Lori Nelson Spielmann, The Life List
Lori Nelson Spielmann The Life List
Arrow Books 2013
9780099580157
335 Seiten

In der Übersetzung von Andrea Fischer unter dem Titel Morgen kommt ein neuer Himmel im Fischer Krüger Verlag erschienen.

Erster Satz

Voices from the dining room echoed up the walnut staircase, indistinct, buzzing, intrusive.

Kläglich gescheitert an Katherine Dunn, Binewskis, Verfall einer radioaktiven Familie

Kläglich gescheitert an Katherine Dunn, Binewskis, Verfall einer radioaktiven Familie

Selten kommt es vor, dass ich bereits bei Seite 70 (von 510) aufgebe. Der schöne Einband und die Lobeshymnen am Buchrücken hatten mich verführt. Dabei hätte ich nur den Klappendeckel lesen müssen: „(…) Dunn hat 17 Jahre an Binewskis gearbeitet.“ Das wäre mir sofort suspekt gewesen. Und gleich die ersten paar Seiten machten klar: Das wird nicht mein neues Lieblingsbuch. Zu verdreht die Geschichte, zu künstlich der Stil (Kein Wunder nach 17 Jahren Herumgefitzel!) Eine literarische Freakshow quasi. Doch wenn ich Phantastisches lesen will, greife ich zu Fantasy!

Ich nehme an, wer auf die phantastischen Panoptiken eines T.C.Boyle steht, wird seine Freude an Katherine Dunnes Binewskis haben. Mir bleibt ein schönes Buch im Regal.

Katherine Dunn, Binewskis, Verfall einer radioaktiven Familie
Katherine Dunn Binewskis, Verfall einer radioaktiven Familie
übersetzt von Monika Schmalz
Berlin Verlag
9783827010728
510 Seiten

Erster Satz:

„Als eure Mama noch ein Geek war, meine Traumkindchen“, sagte Papa immer, „machte sie das Abknabbern der Köpfe zu einem so glitzernden Geheimnis, dass die Hennen selbst sich nach ihr verzehrten, sie umtanzten, hypnotisiert vor Verlangen.

Louise Candlish – The day you saved my Life

Louise Candlish – The day you saved my Life

/oder auch The night you wasted my time/

Voller Freude gekauft, immerhin schreibt Jojo Moyes „I loved this book (…)“ und Jojo Moyes mag ich wirklich (siehe auch Rezension in den nächsten Tagen). Doch dann hat mich schon meine Tochter gewarnt: nicht gut, voller öder Klischees, langweilig.

Nun ja, ich wollte es nicht glauben, aber nach 1/3 des Buches hab ich aufgegeben. Schmalziges Gesülze sondergleichen: Mann rettet Bub aus der Seine, depressive Mutter des Buben verliebt sich in den Helden, der ist zwar verheiratet, aber eh unglücklich, blablabla

Könnt ihr getrost sein lassen!

The Day you saved my Life candlish
Louise Candlish
The Day you saved my Life
Sphere
ISBN 9780751543551

Wurde bisher – aus gutem Grund – nicht übersetzt.

Biografie eines zufälligen Wunders – Tanja Maljartschuk

Biografie eines zufälligen Wunders – Tanja Maljartschuk

Tanja Maljartschuk stammt aus der Ukraine. Seit 2011 lebt sie in Wien. Wenn nur ein Bruchteil dessen, was Maljartschuk schreibt, der Realität entspricht, weiß man auch warum das so ist. Und man weiß auch, wieso so viele Menschen in der Ukraine auf dem Maidan ihr Leben riskiert haben, um das System zu ändern. Sie riskierten es auch vorher schon in prekärsten Verhältnissen, unter staatlicher Willkür, wo zuerst das Recht des Reicheren, dann jenes des Stärkeren kommt. Und wer den offiziellen Weg geht, zerschellt an der Gummiwand der Bürokratie.

Dabei meint es Maljartschuk gut mit ihrer Heldin (im wahrsten Sinne des Wortes) Lena. Lena möchte ein guter Mensch werden.  Denn „anständige Menschen müssen gut sein“. Doch gut sein funktioniert nicht in Maljartschuks Ukraine. Die Menschen dort saufen, verprügeln ihre schwächeren Verwandten und Bekannten, verkaufen Streunerhunde an Chinarestaurants, lassen Menschen vor ihrer Türe erfrieren, betrügen einander und den Staat. Nur Lena stellt sich dem entgegen. Sie verteidigt ihre Kindergartentante, sie setzt sich für die Hunde ein, sie will ihrer behinderten Freundin einen Rollstuhl und eine Rente organisieren. Mutig und ausdauernd tritt sie für ihre Anliegen ein. Im besten Fall erntet sie Spott,  schlechtestenfalls wird sie verprügelt. Erreichen tut sie nichts. Kleine Siege kann sie nur erringen, wenn sie sich doch des Systems bedient und zum Beispiel den Dorfmafioso anheuert um, die Hundefänger zu eliminieren.

Auf ihrem Weg von einer Ungerechtigkeit/Ungeheuerlichkeit zur anderen stolpert sie über einige bemerkenswerte Einsichten. Die knappe Sprache macht daraus beinahe Aphorismen:

„Man trinkt Wodka nicht, weil er da ist, sondern weil nichts anderes da ist: keine Arbeit, kein Glaube, keine Zukunft. Wenn eines von den dreien wieder da ist, wird man keinen Wodka mehr trinken.“

„(…) in einem aussichtlosen Kampf sind diejenigen am wichtigsten, die kämpfen, weil sie der Zeit nicht erlauben, sie in Monster zu verwandeln. Man verliert den Kampf, aber man kann sich selbst gewinnen.“

„(…) Der Tod ist die größte Schwachstelle im Atheismus.“

Maljartschuk schildert die grausamen und elenden Umstände unter denen Lena und ihre SchicksalsgenossInen leben, mit erstaunlichem – verzweifelten? – Humor. Monty Python in echt sozusagen. Doch wenn es gar zu grauslich zu werden droht, bleibt Maljartschuk kein anderer Ausweg, als zum Übernatürlichen zu greifen: Jetzt kann es nur noch die fliegende Frau mit dem roten Kopftuch richten.

So endet der Roman über die einst unerschütterliche Optimistin Lena mit ihrem traurigen Resumée:

Vor langer Zeit hat man mir einmal erzählt, dass es das Gute und das Böse gibt und dass ein anständiger Mensch gut sein muss. Das ist seine Pflicht. Ich habe beschlossen, so zu sein. Ein guter Mensch zu sein. Und so habe ich darauf gewartet, meine Güte endlich beweisen und einsetzen zu können. Doch die Zeit verging und nichts geschah. Ich habe nichts Gutes getan. Im Gegenteil. In meinen Bestreben Gutes zu tun, habe ich Böses angerichtet. Und jetzt frage ich mich: Was ist das Gute überhaupt? Wir wissen, was das Böse ist, aber was ist das Gute?

Tanja Maljartschuk Biografie eines zufälligen Wunders
Tanja Maljartschuk
Biografie eines zufälligen Wunders
übersetzt von Anna Kauk
Residenz Verlag
ISBN 9783701716128

Der Duft des Regens – Frances Greenslade

Der Duft des Regens – Frances Greenslade

/auch von Maja (16) empfohlen/

Eine Kindheit in Kanada in den 60er und 70er Jahre. Wie im Wildwestbilderbuch wachsen die Schwestern Maggie und Jenny in den mächtigen Wäldern des kanadischen Hinterlandes auf. Behütet und dennoch frei – Spießigkeit inmitten der Wildnis: zelten, Beeren sammeln, im eisigen Seen nackt baden, Feuerholz machen und ein bisschen Schule. Eine liebevolle Mutter, ein zwar schweigsamer aber umsorgender Vater. Alles ist gut.

Doch dann kommt der Vater ums Leben. Die kleine, heile Welt gerät ins Wanken. Plötzlich ist gar nichts mehr gut.

Irgendwie landen Maggie und Jenny in einer nichtssagenden kanadischen Kleinstadt. Bei der ewig schlecht gelaunten Bea und ihrem kranken Mann Ted. Statt Familienidyll gibt´s von da an nur mehr physische Grundversorgung. Meldet sich die Mutter zunächst noch sporadisch, herrscht bald absolute Funkstille.  Während Jenny, die ältere, ihr Teenagerleben irgendwie weiterlebt, leidet Maggie extrem unter der Abwesenheit ihrer Mutter. Gemeinsam mit ihrem einzigen Freund Vern leistet sie sich kleine Auszeiten, Fluchten in die raue Natur, die einzige Umgebung, in der sie sich noch geborgen fühlt.

Als Maggie auch noch von ihrer größeren Schwester unfreiweillig verlassen wird, macht sie sich schließlich auf die Suche nach ihrer Mutter. Doch was sie herausfindet, wird das Bild, das Maggie von ihrer Mutter hat, noch einmal tief erschüttern.

Der Duft des Regens ist ein hoch emotionales Buch, das jedoch nie kitschig oder pathetisch wird – praktisch das Gegenteil von einem Weaper 😉

Eine Coming-of-Age-Story, die 16- wie 44-Jährige beeindruckt.

Uneingeschränkte Lesempfehlung.

Frances Greenslade Der Duft des Regens übersetzt von Claudia Feldmann Insel Verlag Berlin ISBN 978458359555
Frances Greenslade
Der Duft des Regens
übersetzt von Claudia Feldmann
Insel Verlag Berlin
ISBN 978458359555

Das Original erschien 2011 unter dem Titel Shelter bei Random House Canada.