Gertraud Klemm, Einzeller

Gertraud Klemm, Einzeller

Der Feminismus ist wie eine alte, kinderlose Tante, die niemand besonders gernhat, weil sie immer dasselbe plappert. Von der man trotzdem gern Geld nimmt, zu Weihnachten und zum Geburtstag.

Ein Must-Read für alle (post-, ex-)Feminist:innen (to be) sowie alle politischen Menschen.

Der Inhalt – in einer Frauen-WG treffen unterschiedlich ausgeprägte feministisch-engagierte Charakter aufeinander – ist eigentlich nur ein Vorwand, um Feminismus zu deklinieren. Ich hab selten sowas Gescheites, Reflektiertes, Kritisches gelesen. Einzeller ist wahrscheinlich nur deshalb kein Sachbuch, weil sich ein Roman besser verkauft – der Barbie-Effekt auf hohem intellektuellen Niveau 😉

Ich frage mich ja immer wieder, warum nicht jede Frau (bei Männern kann ich es noch ein bisschen besser verstehen) Feministin ist und stolz darauf? Weil man(n) uns den Begriff gestohlen und was Schirches daraus gemacht gemacht hat? Dabei geht´s im Feminismus nur darum, die Welt für ALLE gerecht zu machen.

Man(n) hat uns geschickt auseinanderdividiert, sodass wir jetzt Partikularfeminismus betreiben und uns gegeneinander aufhetzen. Nutznießer sind die Konservativen und/oder Rechten. Denn wenn wir uns zerfleischen, haben wir keine Zeit, sie bzw. das System von dem sie profitieren zu bekämpfen.

(Erinnert mich an die Ökobewegung, an die SPÖ, teilweise an die Grünen – früher.)

Diese Situation schildert Klemm in allen ihren Facetten. Sie zögert nicht (extrem) unbeliebte Standpunkte einzunehmen. Diese können sehr überzeugend sein, vor allem, wenn frau bereit ist, ihre Werte der Pragmatik zu opfern.

Zitierfähig

Ich habe so viele Stellen im Buch angestrichen, dass es aussieht wie meine alten Uni-Skripten 🙂

Hier noch ein paar Auszüge…

Die Kinder sind die Weichstelle jeder Revolution, dort wächst ihr kein Knochen, nicht einmal Hornhaut. An der Liebe zu den Kindern ist noch jede weibliche Revolution zerbrochen. Ihre Kinder werden Frauen niemals opfern. Darauf ist Verlass. Darauf können alle Männer bauen, am allermeisten die Väter. 

Die Mütterlichkeit und die Religionen: Damit haben sie die Frauen von beiden Seiten im Griff; vom Himmel und von der Erde. Von unten zerren die Kinder an ihren Rockzipfeln, von oben stülpt die Männerkirche ihnen die Minderwertigkeit über. Religion und Patriarchat. Wenn die beiden nicht so fest aneinanderkleben würden!

Cover des Buches Einzeller
Gertraud Klemm
Einzeller
Hardcover, 308 Seiten
kremayr& scheriau
ISBN 978-3-218-01382-6

Erster Satz

Eleonora hält die Leiter, an der die Farbdose hängt.

Neue Lieblings-Nudeln: Linguini mit Pistazien-Pesto, glutenfrei, vegetarisch

Neue Lieblings-Nudeln: Linguini mit Pistazien-Pesto, glutenfrei, vegetarisch

Das gibt´s diese TikTok-Star-Köchin, die Pasta-Queen. Ich kenne nur dieses eine Rezept aus Woman aber das ist nicht nur königinnenlich, sondern göttlich!

Zutaten für 4 Portionen

600g lange Nudeln (oder wieviel ihr pro Person halt gerne esst) wie z.B. Linguine (meine sind natürlich glutenfrei)
eine Handvoll frische Basilikumblätter
60 g frisch geriebener Pecorino
60 g frisch geriebener Parmigiano
30 g Pinienkerne
100g Pistazien, geschält, geräuchert, gesalzen
130g Olivenöl
 Salz, Pfeffer

Zubereitung

In einem großen Topf reichlich Wasser sprudelnd aufkochen lassen, dann kräftig salzen und Nudeln darin bissfest garen. In der Zwischenzeit in einer Küchenmaschine Basilikum, Knoblauch, Pecorino, Parmigiano, Pinienkerne, Pistazienkerne und Olivenöl zu einer glatten Paste mixen. Ein bisschen Nudelwasser aufheben!

Gegarte Nudeln mit 4 EL vom Kochwasser in die Schüssel mit Pesto geben und gut vermengen, bis jede Nudel vom grünen Pesto umhüllt ist. Nach Bedarf noch jeweils 1 EL Kochwasser zugeben, bis die Sauce fein sämig ist. Mit frischen Basilikumblättern garnieren und servieren.

Das schmeckt so irre gut (fast so gut wir meine Spaghetti Carbonara), dass ich geneigt bin, mir das entsprechende Buch zu kaufen…

Pasta Queen, 100 Rezepte und Geschichte, aus Italien
Nadia Caterina Munno, Katie Parla
288 Seiten, Christian Verlag
erhältlich z.B. bei Buchkontor um € 36,-
Madeline Miller, Ich bin Circe

Madeline Miller, Ich bin Circe

So macht griechische Mythologie Spaß!

Ich hab ein bisschen gebraucht um in „Circe“ hineinzufinden, aber dann ließ sie mich nicht mehr los. Es ist tatsächlich eine großartige, spannende Geschichte über die Entwicklung einer Nymphe (sic!) zu einer gereiften, selbständigen, unabhängigen Frau.

Ja, sie ist eine Göttin und hat für ihre Entwicklung wortwörtlich eine Ewigkeit Zeit. Aber auch sie unterliegt den Gesetzen einer sehr patriarchalen Ordnung, mit all den Einschränkungen – und Privilegien – , die das Dasein als niedrige Gottheit mit sich bringt. Erst in ihrer Verbannung, also zurückgeworfen auf sich selbst, entdeckt und entfaltet sie ihr Talent.

Man kann „Ich bin Circe“ als rein unterhaltsame Fantasy-Geschichte lesen oder aber als Metapher für die westliche Gesellschaft, das Verhältnis zwischen Mann und Frau und als Affirmation, dass es Frauen gelingen kann, sich einer „gegebenen“ Weltordnung zu widersetzen. Allerdings nicht ohne Opfer und Schmerzen und Stärke, die weit über die männliche hinausgehen muss. Am Ende des Weges aber (nicht des Lebens) wartet ein äußerst erstrebenswerter Zustand: die Selbstbestimmung.

Madeline Millers „Ich bin Circe“, in der Übersetzung von Frauke Brodd, ist ein kluger, spannender, literarisch wertvoller Roman, der uns weiterbildet aber uns die griechische Mythologie endlich einmal aus einer weiblichen Perspektive näherbringt. Die Deutungshoheit gehört nun nicht mehr den Männern, den Heliossen, Odysseussen und Hermessen, sondern einer emanzipierten Nymphe.

Frau kann verstehen, warum sich Männer gegen diesen Wandel wehren. Die naturgegebene göttliche Omnipotenz zu verlieren und Macht plötzlich teilen (sic!) zu müssen, ist sicher schmerzhaft. Doch mein Mitleid hält sich in Grenzen…

Madeline Miller
Ich bin Circe
Übersetzt von Frauke Brodd
Eisele Verlag
Taschenbuch, 528 Seiten
ISBN 9783961610686

Erster Satz

„Als ich geboren wurde, gab es für das was ich war, keinen Namen.“

Donna Tartt, Der Distelfink

Donna Tartt, Der Distelfink

Ja, ok, es ist nicht besonders originell, einen mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten Roman zu loben. Ich will es dennoch tun, denn ich bin wirklich begeistert!

Und das, obwohl ich zunächst skeptisch war. Der Klappentext hat mich eher abgeschreckt als angezogen, auch das Coverbild des Taschenbuchs versprach mehr bildungsbürgerliche Langeweile als packende Story. Doch dann packte es mich doch das Schicksal des Theo Decker und ließ mich über lange Strecken nicht mehr los. Ich gebe zu, manches habe ich nur quergelesen – einerseits weil es zu schmerzhaft, anderseits weil es mir dann doch zu langatmig war. Aber bei über 1.000 Seiten, kann man schon mal großzügig sein…

Ich habe ein intensive Beziehung zu Theo Decker entwickelt. Ich habe seinen russischen Freund Boris zu hassen, aber auch zu bewundern gelernt – dieses Leben am Abgrund, wenn man nichts mehr zu verlieren hat. Ich staunte über Theos Leben als Jugendlicher, wie er zusammen mit Boris in einer unvorstellbaren Einöde am Rande der Großstadt verwahrlost. Wie egal das allen ist. Wie beziehungsunfähig seine „Bezugs“personen sind, und wie sehr er sie trotz aller Vernachlässigung vermisst.

Ich wollte unbedingt, dass sich der junge Mann endlich emanzipiert, sich dieses Bildes entweder bemächtigt oder endgültig entledigt. Ich konnte seine Obsession in keiner Weise nachvollziehen.

Nachfühlbar sind hingegen die drogeninduzierten Räusche und die darauf folgenden Entzugserscheinungen – die abgrundtiefe Hoffnungslosigkeit (Pleonasmus?), die chemisch ausgewrungene Serotoninspeicher hinterlassen. Wie ein Leben, das so viele Löcher hat, ohne künstliche „Stupfen“ (so hat meine Oma die gestopften Stellen in den Socken genannt), nicht zu bewältigen ist. „Denn dies ist die Wahrheit: Das Leben ist eine Katastrophe.

Das einzig stabile im Leben des Theo Decker sind schöne Dinge: Denn während man beschädigte Möbel restaurieren kann, gelingt das mit Menschen nicht.

„Denn zwischen der >>Realität<< auf der einen Seite und dem Punkt, an dem der Geist die Realität trifft, gibt es eine mittlere Zone, einen Regenbogenrand, wo die Schönheit ins Dasein kommt, wo zwei sehr unterschiedliche Oberflächen sich mischen und verwischen und bereitstellen, was das Leben nicht bietet: Und das ist der beste Raum, in dem alle Kunst existiert und alle Magie.“

Cover Donna Tartt der Distelfink Taschenbuch
Donna Tartt
Der Distelfink
übersetzt von Rainer Schmidt und Kristian Lutze
4. Auflage 2015, Taschenbuch, Goldmann Verlag, 1.024 Seiten
978-3-442-47360-1

Erster Satz

„Noch während meines Aufenthalts in Amsterdam träumte ich zum ersten Mal seit Jahren von meiner Mutter.“

Elisabeth Lechner, Riot, don´t diet!

Elisabeth Lechner, Riot, don´t diet!

Autor*innen sind im Normalfall ja nicht greifbare, beinahe mystische Wesen, deren tatsächliche Existenz für die gemeine Leserin mitunter durchaus fraglich ist: Welcher echte Mensch schafft es schon, ein ganzes Buch zu schreiben? (Wo ich doch schon an manchen Sätzen scheitere?) Welcher echte Mensch hat so schlaue Gedanken? Wer kann so eine gute Geschichte konstruieren? Wer kann so unglaublich (sic!) gut formulieren, hat so einen Witz, weiß so viel, hat so ein Durchhaltevermögen, etc…

Elisabeth Lechner – also Dr. Elisabeth Lechner, BA BA, MA MA – ist allerdings die leibhaftige Beweis für die Existenz solcher Wesen: Ich konnte sie nicht nur persönlich hören und sehen, sondern auch schon umarmen! (Und das in virologisch bedenklichen Zeiten!) Es gibt sie also wirklich, die blitzgescheiten, witzigen Autor*innen! Zudem ist Eli Lechner auch noch sehr eloquent und trägt mitreißend vor. Soll heißen: Lest nicht nur ihr Buch, sondern geht zu einer Veranstaltung, bei der sie spricht!

Mir war das zuletzt gegönnt bei der Auftaktveranstaltung der #somec22 der Social Media Conference der Grünen Wirtschaft. Diese jährlich stattfindende Konferenz, die meine Kollegin Bobby Hermann-Thurner organisiert, widmete sich Ende letzten Jahres (u.a.) dem Einfluss des Äußeren auf den (beruflichen) Erfolg. Und da kam Eli Lechner als Key-Note-Sprecherin mit ihrem Buch Riot, dont diet, mehr als recht!

Aufstand der widerspenstigen Körper

Riot, don´t diet ist der (populär)wissenschaftlich Aufschrei gegen (patriarchal-kapitalistische) Schönheitsnormen. Lechner macht bewusst, wie wir uns – mehr oder weniger freiwillig – dem Diktat dieser Normen unterwerfen, welche Formen der Diskriminierung daraus entstehen und wer davon profitiert.

Dick, alt, behindert, non-binär, Haare an der falschen Stelle = eklig! Eklig bedeutet aber natürlich auch weniger (bis keine) Repräsentation, weniger Chancen im Beruf, versteckte bis hin zu offener Diskrimierung, im Extremfall sogar Morddrohungen!

Über diese Bestandsaufnahme hinaus geht die Kulturwissenschafterin der Frage nach, wie digitale Medien diese Einstellungen und Verhaltensweisen verstärken, bzw. ob nicht gerade erst dank dieser Vernetzung und gemeinsamer Kampf möglich wird.

Moralinsaure Vorträge sind Lechners Sache nicht. Ihr Schreibstil ist leichtfüßig, gespickt mit (manchmal sehr betroffen machenden) Anekdoten und vielen Referenzen.

Wer sagt(e) mir, was ich schön zu finden habe?

Mit einigen Themen des Buches habe ich mir richtig schwergetan. Natürlich bin auch ich geprägt durch jahrezehntelanges Brainwashing! Was, mein lebenslanger Kampf gegen Fettpolster soll nicht intrinsisch motiviert sein? Was, mensch kann auch mit 20 kg mehr glücklich sein!? Ich rasiere meine Achseln++ (also eigentlich alles außer Kopf- und Augenhaare) vielleicht gar nicht, weil ich das will, sondern weil es andere wollen? Alles Fragen, die mensch sich nicht gerne stellt. Auch will frau nicht gerne gesagt bekommen, dass „normschöne“, noch dazu weiße, noch dazu blondhaarige Menschen wie ich, extrem viele, einander verstärkende (= intersektionale) Privilegien genießen…

Tatsache ist, dass wir alle Menschen – auch uns selbst – zu sehr nach ihrem Äußeren beurteilen. Machen wir uns das bewusst. Treten wir mutig & laut gegen Diskriminierung auf. „Verschönern“ wir lieber unser Inneres – das strahlt nach außen!

Die so gewonnene Zeit und Energie benötigen wir ohnedies dafür, den Männern die Macht zu entreißen, und den Planeten zu retten!

Elisabeth Lechner
Riot, don´t diet
Kremayr & Scheriau, Taschenbuch, 2021
240 Seiten, 978-3-2218-01254-6

Erster Satz

„Es ist Zeit für eine Schönheitsrevolution, einen Aufstand der wiederspenstigen Körper!“

Drei Frauen über und als Mütter

Drei Frauen über und als Mütter

Sandra Gugić, Zorn und Stille
Andrea Roedig, Man kann Müttern nicht trauen
Isabel Allende, Violeta

Die Lektüre dieser Bücher hat wieder einmal vor Augen geführt, wieviel Glück ich mit meiner Mutter (und auch mit meinem Vater) hatte. Ich bin ihr so dankbar, dass sie mich so bedingungslos geliebt hat. Und das, obwohl sie selbst viel Gewalt in ihrer Kindheit und Jugend erfahren hat.

Darüberhinaus bin ich dankbar, dass ich in ein Land geboren wurde, in dem mich weder Krieg noch Not zur Flucht zwingen. Flucht ist immer auch Trauma. Die einen bewältigen es besser, die anderen schlechter. Und Fremdsein ist nur als Touristin ein angenehmer Zustand.

Toxische Männlichkeit in all ihren Ausprägungen spielen in allen (tragischen) Familiengeschichten eine wesentliche Rolle – selbst in „Man kann Müttern nicht trauen“. Diese autofiktionale Geschichte über den Zerfall einer Frau und damit aller Beziehungsgeflechte und Sicherheiten für die Kinder, ist die erschütterndste Erzählung. Vor allem, da sie aus der Perspektive des Kindes erzählt wird. Wie sehr sich die kindliche Liebe strapazieren lässt, wieviel Hoffnung auf ein wenig Zuwendung auch nach vielen Enttäuschungen vorhanden ist! Doch Roedigs Mutter ist dazu nicht fähig und diese Unfähigkeit Zurechtzukommen wird im Alkohol ertränkt.

Welchen Kraftakt es braucht, um da rauszukommen, kann ich mir gar nicht vorstellen.

Und dann ist das Herz. Wir spielen abends an einem Gasthoftisch Karten, Mau-Mau oder Ähnliches, und weil mir die Frabe fehlt, lässt Lilo (Anm.: die Mutter), diesen Satz fallen zu mir, im Spiel, im Ernst: „Du hast kei Herz net?“ Das trifft mich tief, es erschreckt mich, als wäre ich ertappt worden, ich lese das als klaren Vorwurf von ihrer Seite. Mutter und Tochter, hier ist die Grenze. Es fühlt sich an, als prallte da etwas zusammen, etwas in ihr und etwas in mir, das eine Mauer bildet, die zwischen uns steht.

Sandra Gugić, Zorn und Stille

Sandra Gugićs Familiengeschichte ist wesentlich distanzierter. Sie wird aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt. Aus der Sicht der Mutter, der Tochter und des Vaters. Eine serbisch-stämmige Familie, die Eltern sind nie wirklich in ihrer neuen Heimat angekommen. Auch sie geben ihre Traumata an ihre Kinder weiter. Diese entwicklen ganz unterschiedliche Strategien, damit umzugehen. Reden-schweigen; nehmen-geben; gehen-bleiben, gemeinsam-alleine. Die Figuren zerreissen und müssen sich neu zusammensetzen. Kann das gelingen? Und wenn ja, wie? Und was bleibt dabei auf der Strecke?

Es gibt einen Raum, in dem niemand im Besitz der Wahheit ist und jeder das Recht hat, verstanden zu werden.

Isabel Allende, Violeta

Stilistisch vielleicht das schwächste der drei Bücher, dafür eine mitreißende Geschichte erzählt von einer Frau, die hundert Jahre südamerikanische Geschichte erlebt hat. Und die zeigt, dass man auch im hohen Alter noch gescheiter werden kann. (Meine erste Allende, aber sicher nicht meine letzte.)

Bild von drei Büchern von Frauen
Sandra Gugić, Zorn und Stille, Hoffmann und Campe, 238 Seiten, 978-3-455-00976-6
Andrea Roedig, Man kann Müttern nicht trauen, dtv, 238 Seiten, 978-3-423-29013-5
Isabel Allende, Violeta, übersetzt von Svenja Becker, Suhrkamp, 400 Seiten, 978-3-518-43016-3

Erster Satz Zorn und Stille

Es geht hier nicht um mich.

Erster Satz Man kann Müttern nicht trauen

Man kann Müttern nicht trauen.

Erster Satz Violeta

Mein geliebter Camilo, mit diesen Seiten möchte ich dir ein Zeugnis hnterlassen, weil ich mir vorstelle, dass dich in ferner Zukunft, wenn du alt bist und an mich denkst, Dein Gedächtnis womöglich im Stich lässt, denn Du bist zerstreut, und mit den Jahren wird das nicht besser.

Olga Tokarczuk, Gesang der Fledermäuse

Olga Tokarczuk, Gesang der Fledermäuse

Vielen Dank für die Empfehlung (und die Leihgabe) an Ines.

Den Roman einer Nobelpreisträgerin zu loben, könnte Eulen nach Athen tragen bedeuten. Doch ich habe bisher noch nie eine dermaßen prominent ausgezeichnete Autorin* besprochen. Die meisten sind mir – Achtung Triggerwarnung für Bildungssnobs – zu anstrengend. Oder sie wurden mir in der Schule vermiest. Oder es sind Männer, denen ich keine zusätzliche Aufmerksamkeit mehr schenken will, da ich keinen Beitrag mehr zum Genderbias leisten will. (A propos Genderbias: Stell dich doch mal vor dein Bücherregal und zähle, wieviele weibliche und wieviele männliche Autor:innen vertreten sind…)

Warum es der Gesang der Fledermäuse in meinen Blog geschafft hat (ich bin mir der Selbstüberschätzung dieser Formulierung durchaus bewusst), liegt schlicht daran, dass es mich wirklich gut unterhalten hat: Ein spannender Plot (wobei „ungemein spannend“ wie am Buchrücken beschrieben, halte ich für übertrieben), eine großartig verschrobene Protagonistin, Gedanken, die zwischen Witz und Weisheit oszillieren. Nahezu auf jeder Seite ein Satz, den man jemandem vorlesen (was schwierig ist angesichts der Tatsache, dass ich immer abends im Bett lese, wenn mein Mann bereits schläft…) oder zumindest unterstreichen möchte.

„Viele Männer erkranken mit fortschreitendem Alter an Testosteron-Autismus, was mit einem langsamen Schwinden der sozialen Intelligenz und einem zunehmenden Unvermögen, was zwischenmenschliche Kommunikation betrifft, einhergeht und auch das Formulieren von Gedanken beeinträchtigt.“

Zunächst dachte ich, Olga Tokarczuk käme aus der Ukraine. Die Szenerie erinnerte mich stark an Tanja Maljartschuk. Doch Tokarczuk kommt aus Polen. Dort spielt auch Gesang der Fledermäuse. Am Hochplateau, an der polnisch-tschechischen Grenze, wo auch die Autorin ihre Sommer verbringt, lebt Janina Duszejko. Die (ehemalige) Lehrerin widmet sich der Astrologie (das sind die Teile des Buches, die ich am wenigesten mochte) und den Werken des Dichters William Blake. Sie hütet die Häuser der Städter:innen, die nur im Sommer die Kühle dieses abgeschiedenen Ortes genießen. Janina ist alt, wie alt erfahren wir nicht. Obwohl sie die Natur liebt, leidet sie unter ihr: Im Sommer plagt sie eine Sonnenallergie, im Winter der grimmige Wind. Dennoch streift sie stundenlang umher, beobachtend, ja fast lauernd, wie die Jäger, die Janina ob ihrer Grausamkeit verachtet. Sie selbst zieht der Gesellschaft der Menschen – nur wenige lässt sie an sich heran – jene der Tiere vor. Als ihr Nachbar, den sie Bigfoot nennt, eines grausamen Todes stirbt, muss sie sich allerdings genau unter jene mischen, die sie zu vermeiden sucht. Ihre Begegnungen mit den Männern der Umgebung entblößt eine Welt der Ignoranz, der Respektlosigkeit und der Korruption. Man versteht immer besser, warum das karge, einsame Leben eine wohltuende Alternative darstellt. Aber wie lange, wird es diesen Außenseiter:innen gelingen, ihre Lebensweise beizubehalten? Haben sie eine Wahl oder ist ihr Schicksal nicht ohnedies von den Sternen vorgezeichnet?

„Der riesige Baum, schief und löchrig, steht schon seit Jahrhunderten und ist nicht gefällt worden, weil man nichts und wieder nichts aus ihm hätte machen können. Dieses Beispiel sollte diejenigen ermutigen, die so sind wie wir. Jeder kennt den Gewinn, den er aus dem Nützlichen ziehen könnte, aber keiner kennt die Vorteile des Unnützen.“

Mit Gesang der Fledermäuse stellt Olga Tokarczuk unter Beweis, dass ausgezeichnete Literatur auch unterhaltsam sein darf. Große Leseempfehlung!

Olga Tokarczuk
Gesang der Fledermäuse
Übersetzt von Doreen Daume
Kampa Pocket, 308 Seiten 978 3 311 15003 9

Erster Satz

„Mein Alter und auch mein Zustand erfordern es mittlerweile, dass ich mir vor dem Zubettgehen ordentlich die Füße wasche, für den Fall, dass ich in der Nacht von einem Krankenwagen abgeholt werden muss.“

*Männer sind mitgemeint.

Nell Leyshon, Ich, Ellyn

Nell Leyshon, Ich, Ellyn

Glücklicher Spontankauf in einer Buchhandlung in Buxtehude (sic!).

Ein ganz ungewöhnliches Buch, das mich durch sein wunderschönes Cover zum Kauf verführt hat (eine feine Strichillustration, der Titel in Sonderfarbe drucklackiert ==> da kann die Werberin in mir unmöglich widerstehen!) und ein echter Glücksgriff!

Ellyn ist ein einfaches Bauernmädchen. 16 Jahrhundert in England. Mit ihrem behinderten Vater, ihrer Mutter, ihrem Bruder und der neugeborenen Schwester Agnes lebt sie in einer Hütte. Arbeit, Gewalt, Dreck, Hunger bestimmen ihr Leben. Eine scheinbar ausweglose Situation.

Ellyns Ausdrucksmöglichkeiten sind stark eingeschränkt. Dennoch spürt sie, dass „da“ noch mehr ist, als das Melken der Kuh, die Versorgung des Vaters, die (sexuellen) Übergriffe des Bruders, die blinde Schicksalsergebenheit der Mutter. Ellyn ist stark, das weiß sie. Und begabt, das wird sie erst entdecken.

Nell Leyshon lässt Ellyn in ihrer einfachen Sprache erzählen. Ohne Groß- und Kleinschreibung, ohne Punkt und Komma: der wilde Gedankenstrom eines Mädchens, das nicht viele Worte hat – und erst recht keine schönen – um zu verbalisieren, was es fühlt.

meine augen schließen sich und ich allein und alles tut weh aber ich hab mein schmutzigweißes an und es kommt immer noch licht durch die ritze und ich schau raus zum himmel der sich verändert und in meinem kopf drinnen hab ich soviel gedanken sie sind wie vögel über feld bei ernte

Um das, was da in ihr ist zu entfalten, muss Ellyn ihre Umgebung verlassen, zu jemandem anderen werden. Die Schmerzen, die sie dafür auf sich nimmt, ist sie gewohnt.

Mit Ellyns Entwicklung, verändert sich auch ihre Sprache. Sie lässt das Vertraute hinter sich, entdeckt neue Welten, neue Klänge, neue Worte. All das gelingt ihr nur, weil sie bereit ist, sich selbst zu verleugnen.

Cover des Buches Ich, Ellyn von Nell Leyshon
Nell Leyshon
Ich, Ellyn
Übersetzt von Wibke Kuhn
Eisele Verlag, 223 Seiten
978-3-96161-129-4

Ich, Ellyn ist eine besonders schmerzhafte Coming of Age Geschichte aus einer Zeit, in der Arme keine Chancen hatten. Und arme Frauen erst recht nicht.

Ohne es zu wissen, hab ich mir einen feministischen Roman gekauft. Spannend, rührend, in einem Stil, den ich so noch nirgendwo anders gelesen habe. Große Empfehlung!

Erste Sätze

fangen wir an
ich weiß´ sist früh denn es ist stille es ist dunkelheit
und dann kommt au dunkelheit schrei

Bauer und Bobo, Florian Klenk

Bauer und Bobo, Florian Klenk

Ich sags gleich: Ich bin eine bekennende Falter Fanin und daher absolut nicht unvoreingenommen. Dennoch bzw. umso mehr möchte ich dieses Buch weit über den grünen Klee loben: Klenk dokumentiert auf nur 150 Seiten, was schief läuft in der (Land-)Wirtschaft, und was wir gewinnen können, wenn wir trotz – scheinbar unüberbrückbarer – Differenzen miteinander ins Gespräch kommen.

Es ist ein Dokument über ein völlig absurdes Fördersystem, die Machenschaften des Raiffeisen-Konzerns, der Bauern und Bäuerinnen in Abhängigkeit hält, die Perversion des „Lebensmittelmarktes“ und wie wir Verbraucher*innen willig mitspielen und über die Auswirkungen des Klimawandels. Und über das produktive Potenzial eines Dialogs mit Menschen, die anders denken. All das anhand einer einzigen, wahren Geschichte über einen steirischen Bergbauern.

Es ist zudem spannend, lustig, traurig, rührend und hat – achtung Spoiler – ein Happy End!

Ich habe es allen Verwandten zu Weihnachten geschenkt. Weil ich an das Veränderungspotenzial dieses Buches glaube. Es sollte an den Schulen zur Pflichtlektüre gehören. Auch an Pflichtschulen. (Nein, es ist kein intello-Bobo-Belehrungsbuch. Ganz im Gegenteil.)

Lest es, schenkt es weiter, macht Werbung dafür. Wenn wir und unsere (Kindes-)Kinder eine Chance auf eine lebenswerte Zukunft haben wollen, müssen wir miteinander reden, Zusammenhänge verstehen, Bereicherungsmechanismen aufdecken und neue Handlungsmuster entwickeln. Asap.

Cover von Bauer und Bobo
Florian Klenk
Bauer und Bobo
Zsolnay Verlag
160 Seiten
978-3-552-07259-6

Erster Satz

Als alles vorbei war, zückte Christian Bachler seine kleine Flasche angesetzten Lärchenschnaps.

Fast Fasten Tag 8

Fast Fasten Tag 8

Heute hab ich leider kein Bild für euch 🙁

Ich war zwar wieder sehr lange spazieren – nein: walken, das klingt dynamischer – aber das Wetter war so schlecht und meine Strecke so öd, dass ich mein Telefon wirklich nur zum Podcast-Hören verwendet habe.

Das Essen hängt mir jetzt schon ein bissl zum Hals raus. Heute Mittag gabs klare Selleriesuppe, die hab ich geskipped. Sellerie und ich geht nicht zusammen. Dafür war die Karotten-Koriander-Suppe ausgezeichnet. Beide Hauptspeisen enthielten Gluten, also enthielt ich mich ihrer. Das Dessert war was für echte Masochist:innen: ungesüßtes Weichselpurée. Hab ich auch auslassen. Dafür hab ich – leider – jetzt beim Abendessen ordentlich reingehaut: Erst eine dicke Kartoffel-Lauch-Suppe, Gemüsestrudel (für mich ohne Strudel), richtig gute Braterdäpfel mit Yoghurtsauce. Komischerweise stand das Weichselpurée wieder zur freien Entnahme…

Mea Culpa

Mir ist ein echt peinlicher Irrtum passiert: Ich war bei der Fußpflege. Damit der Lack trocknen kann, setze ich mich in den sogenannten Teeraum, einen Extrabereich im Speisesaal. Und bestelle mir einen kleinen Espresso – wegen der Leber warats. Und plötzlich umfängt mich eine Wolke billigen Pfirsichduftes. So wie auf den Toiletten von Einkauszentren oder Kinos. Das eklige Zeug, das es von oben runtersprüht, wenn man die Klotüre zumacht. (Findet eigentlich irgendwer den Geruch von Kacke gemischt mit synthi-Pfirsich besser als Kacke pur? Ich nicht.)

Also dieser Duft wabbert um mich rum. Ich – immer schon extrem geruchsempfindlich – wechsle den Platz, weil ich glaube direkt unter dem Aromadiffusor zu sitzen. Hier: Same same. Nächste Ecke: Pfirsichwolke.

Die 4. Ecke ist besetzt, sonst hätte ich die auch noch ausprobiert. Mit diesem „Aroma“ in der Nase, kann ich meinen Espresso nicht mehr genießen. Ich trinke aus und geh mich beim Kellner beschweren. Echt, ich meine, wer braucht Klospray im Restaurant?!

Hier sind lauter sehr freundliche Ungar:innen beschäftigt. Der Kellner versteht mein Problem zunächst nicht. Ich „ziehe“ ihn in den Teeraum, deute auf den vermeintlichen Diffusor. Er versteht, wundert sich zwar, aber entschuldigt sich mehrmals und meint, er wird das weitergeben, dumme Idee von der Dirrektion, kann man im Restaurant ja wirklich nicht, usw.

Im Zimmer angekommen ist der Geruch allerdings immer noch nicht weg. Ich – Klo-geschädigt – denke mir, dass ich wohl genau angesprüht wurde. Hänge meine Gewand auf den Balkon. Sitze in der Unterwäsche da und stinke immer noch. Und dann taucht vor meinem geistigen Auge die Fußpflegerin auf… wie sie zu einer Pfirsich-farbenen Tube greift und mir damit die Füße massiert. ***Extremerrötung***

Ich wollte mich dann natürlich beim Kellner entschuldigen. Aber leider hatte er schon Dienstschluss. Demnach muss ich morgen Asche auf mein Haupt streuen gehen…

#MomToo

Am frühen Abend lauschte ich einem sehr spannenden online-Vortrag von Kaitlyn Chang organisiert von Strategie Austria mit dem neugierig-machenden Titel „#MomToo, Crocodiles and Swans“. Es ging um die Story hinter #MomToo, die Strategie gegen Motherhood Penalty am Arbeitsplatz und den unbewussten Gender-Bias in der Gesellschaft.

Jetzt hab ich doch ein Bild für euch 🙂

Dieses Bild von Kaitlyn Chang und ihrer Tochter bei einem Vortrag auf dem Forward Festival kursierte vor kurzem Europa-weit im Netz. Es wurde bisher von 6 Millionen Menschen angeschaut (Foto © Niklas Schnaubelt)

Das traf insofern gut zusammen, als ich gerade das Buch „Die unsichtbaren Frauen, Wie eine von Daten beherrschte Welt die Hälfte der Bevölkerung ingoriert“ von Caroline Criado-Perez lese. Ein sehr erhellendes Buch darüber, warum Männer das Maß aller Dinge – im wahrsten Sinne des Wortes – sind, und was das mit uns Frauen auf der ganzen Welt macht.

Fast high

Man sagt ja, dass nach dem Fastentief das Fastenhigh käme. Da ich ja nur fast gefastet habe, ist mein High nicht ganz so hoch. Aber ich fühle mich vor allem körperlich richtig stark. Und das meine ich wortwörtlich. Auch die Schmerzen im unteren Rücken sind weg. Ich hoffe, ich kann mir diesen Zustand möglichst lange erhalten – auch wenn jetzt viele Geburtstage (auch meiner) sowie pauschalere Feste anfallen.

Ich habe heute übrigens 14.150 Schritte gemacht, 25 Minuten Gymnastik, 25 Minuten Core-Training und 25 Minuten Stretching. Dieses Niveau werde ich nicht halten können! Dazu reicht nicht mal meine senile Bettflucht, die mich mittlerweile vor 6 aufwachen lässt! Achja: Ich habe 2032 Kalorien verbraucht.

Morgen ist nochmal Fullservice angesagt mit lauter Abschlussgesprächen und einer „intensiven Schröpfmassage“!

PS: Für daheim hab ich mir schon die super Suppe von Paul Ivic gewünscht. Die müsst ihr unbedingt probieren!