Ich sags gleich: Ich bin eine bekennende Falter Fanin und daher absolut nicht unvoreingenommen. Dennoch bzw. umso mehr möchte ich dieses Buch weit über den grünen Klee loben: Klenk dokumentiert auf nur 150 Seiten, was schief läuft in der (Land-)Wirtschaft, und was wir gewinnen können, wenn wir trotz – scheinbar unüberbrückbarer – Differenzen miteinander ins Gespräch kommen.
Es ist ein Dokument über ein völlig absurdes Fördersystem, die Machenschaften des Raiffeisen-Konzerns, der Bauern und Bäuerinnen in Abhängigkeit hält, die Perversion des “Lebensmittelmarktes” und wie wir Verbraucher*innen willig mitspielen und über die Auswirkungen des Klimawandels. Und über das produktive Potenzial eines Dialogs mit Menschen, die anders denken. All das anhand einer einzigen, wahren Geschichte über einen steirischen Bergbauern.
Es ist zudem spannend, lustig, traurig, rührend und hat – achtung Spoiler – ein Happy End!
Ich habe es allen Verwandten zu Weihnachten geschenkt. Weil ich an das Veränderungspotenzial dieses Buches glaube. Es sollte an den Schulen zur Pflichtlektüre gehören. Auch an Pflichtschulen. (Nein, es ist kein intello-Bobo-Belehrungsbuch. Ganz im Gegenteil.)
Lest es, schenkt es weiter, macht Werbung dafür. Wenn wir und unsere (Kindes-)Kinder eine Chance auf eine lebenswerte Zukunft haben wollen, müssen wir miteinander reden, Zusammenhänge verstehen, Bereicherungsmechanismen aufdecken und neue Handlungsmuster entwickeln. Asap.
Florian Klenk Bauer und Bobo Zsolnay Verlag 160 Seiten 978-3-552-07259-6
Erster Satz
Als alles vorbei war, zückte Christian Bachler seine kleine Flasche angesetzten Lärchenschnaps.
Compliance-Hinweis: Ich habe noch nie ein Buch von jemandem rezensiert, den ich kenne, geschweige denn, von jemandem, die hier schon einen Blogbeitrag geschrieben hat! Ich bin sozusagen voreingenommen.
Bei Martina Parkers Zuagroast handelt es sich um einen “Gartenkrimi”. Mein Verhältnis zu Krimis ist ein zwiespältiges: Einerseits mag ich spannungsgeladene Geschichten, die mich in ihren Bann ziehen. Die mich der nächsten Lesegelegenheit entgegenfiebern lassen, die mir den Schlaf rauben. Andererseits kann ich mit den 1000 Varianten des Frauneentführensunddannimmernochbestialischerabschlachten nichts anfangen. Allerdings wird der 5. Provence- bzw. Normandie-Krimi auch irgendwann schal. Und mit bayrischen Brachialhumor à la Lederhosenkrimi hab ichs – ehrlich gesagt – auch nicht so. Insofern hat mich der Titel “Zuagroast” eher abgeschreckt (Burgenländisch ist ja noch schlimmer als Bayrisch!). Aber dann habe ich Martina kennengelernt und war bei einer ihrer Lesungen. Zudem hat sie eine Rezension für diesen Blog geschrieben! Und außerdem ist das Buch auch noch wahnsinnig erfolgreich… Also her damit!
Ich werde die Geschichte hier nicht nacherzählen. Im allerweitesten Sinn geht es um weibliches Empowerment und (Selbst-)Wirksamkeit durch angewandte Pflanzenkunde. Das alles in einem (burgenländischen) Dorf, wo jedeR alles weiß bzw. zu wissen glaubt und damit ebenso häufig falsch wie richtig liegt. Politische Korruption spielt auch eine Rolle, aber das kennen wir aus dem realen Leben ja nur zu gut.
Was ich nicht so mag
Der Wikipedische Anteil ist mir zu ausgeprägt – das lasse ich für die Pflanzenkunde durchgehen, weil Gartenkrimi, aber wer der Hauptvertreter des Bauhaus-Stils war, weiß ich entweder oder es interessiert mich nicht. Auch Details zum Phänomen der Sarggeburt, die verschiedenen Fäulnisvorgänge inkl. platzender Hautblasen sind einfach too much information!
Und dann mag ich das Frauenbild nicht, das vermittelt wird. Die meisten Frauen werden entweder geschlagen, betrogen, verlassen, und/oder für komplett deppert gehalten. Ich glaub jetzt nicht, dass das am Land so viel ausgeprägter ist als in der Stadt, daher ist mir das Verhältnis zwischen Armutschkerln und coolen Frauen zu dürftig.
Was ich mag
Endlich mal ein Krimi aus der Perspektive einer Frau! D.h. Frauen werden “nur geschlagen, betrogen… s.o.” aber nicht entführtundbestialischabgeschlachtet.
Ein spannender Plot, wunderbar flapsig geschrieben. Sehr viel Pflanzenwissen. Ein überraschendes Ende. Sehr viele lustige Einfälle – großartig die Szene am Ballonfest!
Fazit
Ich habs in Einem durchgelesen! Ich hab oft schmunzeln müssen und manchmal sogar laut gelacht! Und ja, ich hätte es gerne selbst geschrieben! Insofern: auf jeden Fall lesenswert. Und ein sehr schönes Cover hat es auch noch!
Martina Parker Zuagroast 510 Seiten Gmeiner Verlag 978-3-8392-0095-7
Erster Satz
Es war eine dieser pannonischen Sommernächte, in denen es einfach nicht abkühlte.
PS: Ich empfehle, zu einer von Martina Parkers Lesungen zu gehen. Die Geschichten, die sie rund um die Entstehung des Buches erzählt, sind mindestens so lustig wie das Buch selbst!
Ich bin ja ein großer Hörbuch-Fan. Mittelmäßige Geschichten können — vom richtigen Menschen gelesen — zu großem Hörgenuss werden. Umgekehrt kann einem eine furchtbare Stimme jedes noch so große Werk vergällen.
Bei der August-Emmerich-Krimiserie stimmt jedoch alles: Burg-Schauspieler Cornelius Obonya lässt ein Panakustikum entstehen, dass man glaubt mindestens 10 verschiedene Schauspieler*innen (sic!) hätten die Geschichte eingesprochen! Seine Bandbreite ist phänomenal, er hat die ganze Dialektvielfalt der untergegangenen Monarchie drauf! Sogar Frauenrollen wirken bei ihm nicht aufgesetzt. Er lässt glaubwürdige Charaktere entstehen und hält sie bis zu ihrem Lebensende kongruent durch — wenn es die Schöpferin zulässt, bis zum dritten Band!
A propos authentisch: Die Autorin Alex Beer erschafft eine ganz dichte, lebensechte Atmosphäre. Zusammen mit Obonyas “Übersetzung” befindet man sich mittendrin im vom ersten Weltkrieg verheerten Wien. Man hungert mit den vielen Hoffnungslosen, leidet mit den Kranken, friert mit den Zerlumpten.
Wunderbar facettenreich sind die Protagonist*innen. Schwarz und weiß sind nie klar von einander zu unterscheiden. Und Gesetz bedeutet nicht nicht immer Gerechtigkeit, Emmerich allerdings weiß wofür er eintritt.
Der Kommissar mit dem Granatsplitter im Bein ist auch eine sehr ambivalente Person. Beinahe immer grantig aber herzensgut, mitfühlend, ist er doch selbst ein gepeinigter.
Ein toller Charakter ist auch sein Assistent Winter. Das enteignete, schmächtige Aristokratensöhnchen, das nur langsam mit seinen Aufgaben wächst und dennoch für seine Prinzipien einsteht (und einsteckt ;-).
Wenn dann der Pülcher bei der Endstation vom 49er am Gasthaus Prilisauer vorbei, durch den Ferdinand-Wolf-Park, über die Bräuhausbrücke den Wienfluss überquert, um anschließend im Lainzer Tiergarten zu verschwinden, bin ich als Penzingerin mittendrin in der Geschichte vom Zweiten Reiter! Grandios!
Bisher sind drei August-Emmerich-Krimis erschienen.
Ich hab mich ja bemüht, heuer nur Autorinnen zu lesen. (Wobei mir Stephan Zweig mit seiner Magellan-Biografie untergejubelt wurde. Tauchte plötzlich auf meinem Nachtkästchen auf, genau zu dem Zeitpunkt als ich Buch- und somit Schutz-los war…)
Also Eva Schmid, weil, Österreicherin, Ö1-Buch des Monats und Longlist des Deutschen Buchpreieses und “So geht das Wunder von Literatur” (Klappentext, Sabine Vogel, Berliner Zeitung). Mhm. Sicher gut geschrieben. Aber ich fange mit so ereignislosen, vor sich hinplätschernden Schilderungen banaler Leben einfach nichts an. Erinnerte mich sehr an Friederike Gösweiner Traurige Freiheit.
Es macht nichts in mir, es macht nichts mit mir.
Eine junge Frau, die keine einfache Kindheit hatte (kein Vater, desinteressierte Mutter, verstreute Brüder), weiß nicht, wie es in ihrem Leben weitergehen soll. Dank ihres reichen Stiefvaters – der einzige, dem scheinbar etwas an ihr liegt – hat sie keine materiellen Sorgen. Sie jobbt in einem Museum, geht oberflächliche Bindungen ein, löst sie wieder. Zum Schluss – naja, lest selbst.
Wie ein gut komponiertes, monotones Musikstück lullt einen der Text ein. Man merkt kaum, dass man ein paar Zeilen verpasst hat, weil einem die Augen zugefallen sind. Dann ist es aus und man denkt sich: “Und?” oder auch “Jo, eh.” Dabei mag ich durchaus leise Bücher, wie zum Beispiel von einem meiner Lieblingsautoren Peter Henisch. Auf 208 Seiten habe ich mir keinen einzigen be-merkenswerten Satz angestrichen…
Eva Schmidt Die untalentierte Lügnerin Jung und Jung 208 Seiten 978 3 99027 230 5
Erster Satz: Mit neunzehn war Maren zum ersten Mal von zuhause ausgezogen
Franzobel
ist wieder einmal unter die Krimiautoren gegangen und hat sich einen
politischen Phantasie-Reigen erdacht, der einige Monate nach Entstehung des
Buches wohl gar nicht mehr so viel Phantasie benötigt.
Zwei
Erzählsträngen folgt die Geschichte. Da ist einerseits Malte Dinger, Besitzer
einer Bar, in der am liebsten Gin in verschiedensten Variationen verkauft,
Vater eines Schulanfängers, Familienmensch und Ehemann – bis er eines morgens
ein Handy findet und beim Schwarzfahren erwischt wird. Letzteres aus Versehen,
da ihm seine Frau die Monatskarte aus der Geldtasche genommen und nicht wieder
zurückgelegt hatte. Die Strafzahlung konnte er nicht leisten, da fehlten ihm
einige Euros, so wurde er festgenommen und inhaftiert. Nicht ohne Pannen. In
seiner Wut und Verzweiflung hat er dem Polizisten einen Zahn ausgeschlagen, was
sich natürlich nicht mildernd ausgewirkt hatte.
Und
andererseits gibt es Kommissar Groschen, der zu einem sensationell grausamen
Mord in einem verlassenen Gebäude in der Strozzigasse gerufen wird. Schon bald
führt ihn die Spur des Mörders aufs Land zu einer Adelsfamilie, bei der
offensichtlich nicht mehr viel Adel übrig geblieben ist. Der Mord soll ad acta
gelegt werden, der mögliche Täter ist und bleibt flüchtig. Groschen
glaubt nicht daran. Und wird recht behalten. Ein weiterer Mord, ähnlich grausam
beschrieben, im selben Familienumfeld geschieht. Die Suche wird erneut
aufgenommen.
Es kommt zum
großen Showdown – naheliegend in Österreich, beim Opernball. Hier findet sich
der beste Boden um Gesellschaftskritik gedeihen zu lassen. Die zwei
Erzählstränge treffen sich und es kommt zu Aufklärungen und damit, nach mehr
als 400 Seiten doch zu einem etwas abrupten Ende des Buches.
All das
geschieht eingebettet in ein Österreich, das von der rechten Partei LIMES
regiert wird, vom Meister und seinem Gehilfen. Die Welt hat sich damit
geändert. Die Polizei wurde aufgestockt, Flüchtlinge und andere
Nichtwillkommene außer Landes verwiesen, Theaterdirektoren wurden angewiesen
bestimmte Autoren nicht mehr zu spielen, und, und, und. Speziell die
Beschreibung der politischen Veränderung hinterlässt beim Lesen ein banges
Gefühl. Man weiß, dass Franzobel beim Schreiben seines Kriminalromanes vieles,
was das heutige Österreich ausmacht, noch nicht gewusst haben kann. Er hat
phantasievoll Szenarien vorweggenommen, die für die meisten Österreicherinnen
und Österreich zu dem Zeitpunkt nicht denkbar waren. Nun ist der Roman
erschienen, lektoriert, gesetzt, gedruckt, und verkauft und Österreich ist der
absurden Phantasiewelt Franzobels beängstigend nah gekommen.
So hat es
Franzobel auch geschafft in meine Alltagswelt zu gelangen. Bei einer meiner
letzten Fahrscheinkontrollen funktionierte die App nicht und ich spürte eine
leicht Malte Dinger-Panik aufkommen. Für mich ist alles gut ausgegangen.
Österreich ist zu wünschen, dass es allen anderen auch so ergeht.
Franzobel
schafft ein Werk voll Sprachgewalt. Er bedient sich ganz unglaublichen Bildern,
die ich persönlich nie verfilmt sehen möchte und die an die Grenze
verkraftbarer Brutalität gehen. Aber er spielt auch mit den Wörtern, lässt
literarische Kunstformen, etwa die der Alliteration einfließen – “Die Teller,
Türen, Toiletten waren noch dieselben, auch die Betten, Bestecke, Besen wirkten
gewöhnlich.”
“Rechtswalzer” ist ein verstörendes Buch, eines das niveauvoll unterhält. Geeignet nicht nur für Krimileser. Es ist ein Glanzstück österreichischer, sehr österreichischer Literatur.
Wenn der Protagonist nach 390 Seiten stirbt, und ich muss nicht heulen wie ein Schlosshund, ist das das sicherste Zeichen für Pathoslosigkeit. (Ich! Wo ich doch schon bei der Ottakringer-Werbung ein Tränchen verdrücken muss…)
Daniel Wisser, hochgelobt und gehypt vom Feuilleton, ausgezeichnet mit dem Österreichische Buchpreis, wird nun auch von mir akklamiert. Erstens weil er mit viel Humor den vermeintlich humorlosesten Abschnitt des Lebens beschreibt: dessen Ende. Zweitens, weil er eine neue Form erfindet: Er streicht durch, was man nicht sagen/denken darf, schwärzt, was man nicht lesen darf, schreibt zwei Versionen: eine wahrhaftige und eine “veröffentlichte”.
Robert Turin (mit der Betonung auf der ersten Silbe) lebt freiwillig in einem Heim. Er ist an Multipler Sklerose erkrankt. Seine Krankheit nennt er Königin der Berge. Sie zwingtihn in den Rollstuhl und raubt ihm Stück für Stück seine Autonomie. Herr Turin, wie er im Heim genannt wird, will sich den letzten Rest freien Willen bewahren und sich in der Schweiz das Leben nehmen, doch braucht er dafür jemanden, der ihn hinbringt.
Robert Turin ist kein ausschließlich sympathischer Mensch. Er ist ein notgeiler Alkoholiker, der mit seinem toten Kater spricht und seine Frau belügt. Er scheitert kläglich bei mehreren Selbstmordversuchen. Seine Empathie mit anderen HeimbewohnerInnen geht nur soweit, als er selbst keinesfalls so enden will.
“Herzzerreissend komisch” wie es am Buckrücken steht würde ich Königin der Berge nicht nennen. Aber es ist wirklich erfrischend und überraschend, eine terminale Krankheit aus dieser Perspektive zu erleben. Unweigerlich stellt sich die Frage: Ja darf man das? Ja man darf. Es kann uns alle treffen. Und es tut gut, auch diese Haltung einnehmen zu dürfen. Ehrlich, schmutzig, ekelerregend, aber auch wirklich lustig und absurd.
Ein Hoch auf das Pflegepersonal, das – wie im echten Leben – migrantischer Herkunft und unter furchtbaren Bedingungen dennoch herzlich sein kann.
Mein Vater ist auch sehr krank und pflegebedürftig. Humor hilft, mit vielen überfordernden Situationen umzugehen. Traut euch. Das Leben ist ernst genug!
Daniel Wisser Königin der Berge Verlag Jund und Jung 400 Seiten 9783990272244
Ich gestehe gleich: Ich bin Knecht-Fan. Immer schon gewesen. Ich liebe ihre Kolumnen und verschlinge ihre Romane. Erwartet euch also kein objektives Urteil. Wobei hier auf meinem Blog ohnehin alles total subjektiv ist 😉
Gut, ihr habt gewonnen ist eine Sammlung von Kolumnen, die schon ein paar Jährchen auf dem Buckel haben – um genau zu sein 10. Ich habe das Buch nur deshalb gekauft, weil ich auf der Secondhand-Medienplattform Momox etwas anderes gekauft habe, da ging das gleich mit… so wie der Roman Besser ebenfalls von der Knecht. Der Lange (ihr Mann) ist mittlerweile Geschichte, die Mimis (ihre Zwillingstöchter) sind (fast) erwachsen. Dieses Wissen schmälert den Spaß an den kurzen Geschichten gar nicht. Im Gegenteil: Manches erklärt sich quasi retrospektiv 😉 Und wenn man selbst Elt (Einzahl von “Eltern”, die unbedingt Eingang in den Duden finden sollte) ist, und die Trotz- und sonstigen Phasen der Fratzen noch gut in Erinnerung hat, kann man gemeinsam zurückblicken und sich denken: ja es war schon zach, und unfair und mühsam. Aber dennoch blickt man wehmütig darauf zurück. Seufz!
Gut, ihr habt gewonnen ist allen zu empfehlen, die Kinder haben, die noch klein sind – die Geschichten sind kurz, man kann sie gut zwischen zwei Wutanfällen lesen. Oder schon groß und gelassen genießen.
Doris Knecht, Gut ihr habt gewonnen Czernin Verlag 175 Seiten 978 3 7076 0274 6
Es ist aber auch der Beweis dafür, dass es uns geht. Dass unsere Sorgen klein sind, und wir uns nicht ums Essen Gedanken machen müssen, sondern ums gute Essen. Es macht dankbar und demütig (also mich zumindest).
Wer mehr Kolumnen von Doris Knecht lesen will muss unbedingt den Falter abonnnieren. (Aber das muss man heutzutage sowieso! ) Und/oder ihr fangt an mit So geht das! Wie man fidel verspießert, meine Knecht-Einstiegsdroge. (Sagt nicht, ich hätte euch nicht gewarnt!)
Erster Satz:
Noch immer existieren Freunde, die unsere Urlaubsfotos nicht gesehen haben.
Gertrude Pressburger hat den Holocaust überlebt. Als “Frau Gertrude” hat sie 2016 mit ihrem eindringlichen Videappell wahrscheinlich den Bundespräsidentenwahlkampf zugunsten von Alexander Van der Bellen entschieden.
Ihre Geschichte hat sie 90jährig der Journalistin Marlene Groihofer erzählt. Es ist kein literarisches Meisterwerk. Es ist die sehr authentische Geschichte eines Kindes, das Rassismus, Vertreibung und die Gräuel in den NS-Konzentrationslagern am eigenen Leib erlebt hat.
Gertrude lebt mit ihren 2 Brüdern, ihrem Vater und ihrer Mutter in Meidling. Ihr Vater ist Tischler. Sie leben in einfachen Verhältnissen. Die familiäre Verbundenheit ist groß. Beim Anschluss Österreichs ist Gertrude 10 Jahre alt. Bald beginnen die Schikanen – staatliche wie “private”. Es folgt eine Flucht-Odysee mit vielen Stationen, unter teilweise bereits schrecklichen Umständen. In Yugoslawien wird die ganze Familie 1944 schließlich verhaftet und nach Ausschwitz deportiert. Gertrudes Mutter und ihre beiden Brüder werden gleich nach der Ankunft ermordet. Das Schicksal ihres Vaters ist lange ungewiss. Doch auch er überlebt nicht. Nur Gertrude.
Marlene Groihofer ist Gertrude Pressburgers Chronistin. Sie greift nicht spürbar in die Erzählung ein. Die einfachen Worte, mit denen Gertrude Pressburger ihre Erlebnisse, ihre Gefühle schildert, werden dadurch umso eindringlicher.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand, der dieses Buch liest, jemals Sympathien für rechtsnationale, rassistisches Gedankenagut aufbringen kann.
Kauft es, lest es, verschenkt es. Schickt es den LehrerInnen eurer Kinder oder gebt es ihnen selbst zu lesen. Gertrude Pressburger war 10 Jahre alt, als der Nazi-Alptraum für sie begann. Vielleicht ist das zu früh, so ein Buch zu lesen. Wobei, wenn ich mir vostelle, wieviele Tote, Morde und Gemetzel Kinder bis zu ihrem 10 Lebensjahr im TV oder im Computerspiel gesehen bzw. “begangen” haben, ist es vielleicht doch nicht zu früh!
Es wird nicht mehr lange Zeitzeugen geben, die berichten können, wie alles begann, und welche unvorstellbaren Grausamkeiten tatsächlich verübt wurden – ganz legal.
Warten zwei Männer auf den Nachtbus, sagt der eine …
Anna Herzigs Sommernachtsreigen liest sich ein bisserl wie ein (langer) Witz. Jedenfalls wie ein urwienierisches Gschichtl. Kann wahr sein, muss aber nicht. Mit viel Humor erzählt. Viele alkoholinspirierte Lebensweisheiten. Nüchterne Bonmots gibt die Erzählerin von sich. Die bringt Ordnung in das chaotische Leben von Bertl, Pawel und Johanna.
Es ist eine Geschichte über Liebe, Ehrlichkeit, Mut, Schicksal, falsche und richtige Entscheidungen. Über Ottakring und Instanbul. Und am Ende wird der Pawel bemerken, dass ihm “ein ganz neues Paar Augen geschenkt worden” ist und die Johanna wird nach Istanbul fahren.
Und du wirst froh sein, das Gschichtl gelesen zu haben. Sonst wären dir Sätze entgangen wie:
Das Leben gibt dir viel, aber ganz sicher keine Anleitung.
Sich aus seiner von Geburt an zugeteilten Haut herauszuschälen, ist kein angenehmer Vorgang.
Zwischen zwei Frauen zu sein, ist nur spannend, wenn man nackt ist.
Keiner sucht sich aus, was er für einen Kopf hat.
Rudern, kentern, blöd schauen und keinen Plan zu haben, welche Richtung gut ist, gehört halt auch zum Menschsein dazu.
Wahnsinn kann zart sein und muss nicht immer klinische Symptome aufweisen.
Anna Herzig Sommernachtsreigen Voland & Quist 176 Seiten 9783863912024
Voland & Quist ist ein spannender, kleiner, unabhängiger Verlag aus Deutschland. Er wurde 2004 gegründet und steht für junge, zeitgemäße Literatur. Vielen Büchern liegt eine CD bei (diesem nicht), auf der sich neben Lesungen der AutorInnen selbst oft auch Bonusmaterial befindet. Der Verlag veröffentlicht hauptsächlich Lesebühnenliteratur, Spoken-Word-Lyrik, Romane und Erzählungen junger osteuropäischer AutorInnen sowie Kinderbücher.
Erster Satz:
“Wir müssen ehrlich sein, Hannerl”, sagt der Bertl zu seiner Frau.
Ich gehöre jetzt einem Literarischen Quintett an! Ist das nicht schön schrullig? Auf Betreiben meiner Freundin Ines treffen einander 5 Frauen um über ein Buch zu sprechen, über dessen Wahl demokratisch abgestimmt wurde.
Ich hatte ja Peter Henisch, Suchbild mit Katze, nominiert. (Wie auf merksame LeserInnen wissen, liebe ich Henisch!) Außerdem gingen John Irving, Straße der Wunder, Heinrich Steinfest, Der Allesforscher und Martin Suter, Elefant, ins Rennen. Die Demokratie verdammte mich jedoch zu Traurige Freiheit.
Na wenigstens eine Frau, dachte ich, eine österreichische. Der Klappentext machte mir Angst. Die Geschichte beruflichen Scheiterns könnte man eventuell persönlich nehmen. Hoffnung machte mir hingegen das “Sprachkunstwerk”, das mir Klaus Zeyringer von Literatur und Kritik am Buchrücken versprach.
Ich mach´s kurz: Es gibt 2 gute Dinge an Traurige Freiheit: Es hat nur 143 Seiten und den Satz “Von hier nehmen, das musste man das Leben.” Der Rest ist eine Aneinanderreihung von Ödnis inhaltlich wie sprachlicher Natur. Banale Metaphern, die alle mit irgendwie “Fallen” zu tun haben.
“Es gab ja kein Entrinnen, nichts konnte den Mann retten. Und er war ganz allein, da war niemand sonst, niemand, der Notiz nahm von ihm. Er war ganz allein mit sich auf dem Foto. Er fiel und fiel und fiel, haltlos (sic!), verloren, allein. Es war bestürzend (sic!), das zu sehen (…)”
Echt jetzt: “haltlos”, “bestürzend”? Vielleicht ist diese begriffliche Flachheit ja schon wieder genial, bloß erkenne ich es halt nicht …
Andere sehen das ja auch anders. Sonst hätte Gösweiner wohl nicht den Öster. Buchpreis verliehen bekommen. Auch das Restquartett (oder ist das jetzt das Restqunitett?) war nicht ganz so kritisch. Christine war sogar sehr angetan! Es wäre ein Roman typisch für die Generation Y. Eine Generation, die nie gelernt hätte zu scheitern und letztlich daran zerbrechen müsse. Der fehlende sprachliche Manierismus wurde als mutig und konsequent beurteilt. Als Sprache der Zeit.
Schön war jedenfalls, mit anderen Literaturinteressierten darüber zu sprechen. Zu hören, dass es durchaus auch eine andere Rezeption als die eigene gibt. Dazu hat mensch ja nur selten die Gelegenheit. (Mit dem Feuilleton lässt sich schwer in Dialog treten…)
Erster Satz: “Dann hat es wohl keinen Sinn mehr”, sagt Hannah.
Bis zum nächsten Mal wird´s eine Weile dauern. Wir haben uns den 900 Seiten starken Roman Ein wenig Leben der Hawaianerin Hanya Yanagihara vorgenommen, den mir am selben Tag auch meine Freundin Petra ans Herz gelegt hatte.
Meanwhile höre ich den zweiten Band des neapolitanischen Familienepos´ von Elena Ferrante. Seeehr zu empfehlen!
PS: Danke für den Motivationsschub an Flo Schmidt, der einen neuen Blogbeitrag urgierte & auch bekam 😉