Elisabeth Lechner, Riot, don´t diet!

Elisabeth Lechner, Riot, don´t diet!

Autor*innen sind im Normalfall ja nicht greifbare, beinahe mystische Wesen, deren tatsächliche Existenz für die gemeine Leserin mitunter durchaus fraglich ist: Welcher echte Mensch schafft es schon, ein ganzes Buch zu schreiben? (Wo ich doch schon an manchen Sätzen scheitere?) Welcher echte Mensch hat so schlaue Gedanken? Wer kann so eine gute Geschichte konstruieren? Wer kann so unglaublich (sic!) gut formulieren, hat so einen Witz, weiß so viel, hat so ein Durchhaltevermögen, etc…

Elisabeth Lechner – also Dr. Elisabeth Lechner, BA BA, MA MA – ist allerdings die leibhaftige Beweis für die Existenz solcher Wesen: Ich konnte sie nicht nur persönlich hören und sehen, sondern auch schon umarmen! (Und das in virologisch bedenklichen Zeiten!) Es gibt sie also wirklich, die blitzgescheiten, witzigen Autor*innen! Zudem ist Eli Lechner auch noch sehr eloquent und trägt mitreißend vor. Soll heißen: Lest nicht nur ihr Buch, sondern geht zu einer Veranstaltung, bei der sie spricht!

Mir war das zuletzt gegönnt bei der Auftaktveranstaltung der #somec22 der Social Media Conference der Grünen Wirtschaft. Diese jährlich stattfindende Konferenz, die meine Kollegin Bobby Hermann-Thurner organisiert, widmete sich Ende letzten Jahres (u.a.) dem Einfluss des Äußeren auf den (beruflichen) Erfolg. Und da kam Eli Lechner als Key-Note-Sprecherin mit ihrem Buch Riot, dont diet, mehr als recht!

Aufstand der widerspenstigen Körper

Riot, don´t diet ist der (populär)wissenschaftlich Aufschrei gegen (patriarchal-kapitalistische) Schönheitsnormen. Lechner macht bewusst, wie wir uns – mehr oder weniger freiwillig – dem Diktat dieser Normen unterwerfen, welche Formen der Diskriminierung daraus entstehen und wer davon profitiert.

Dick, alt, behindert, non-binär, Haare an der falschen Stelle = eklig! Eklig bedeutet aber natürlich auch weniger (bis keine) Repräsentation, weniger Chancen im Beruf, versteckte bis hin zu offener Diskrimierung, im Extremfall sogar Morddrohungen!

Über diese Bestandsaufnahme hinaus geht die Kulturwissenschafterin der Frage nach, wie digitale Medien diese Einstellungen und Verhaltensweisen verstärken, bzw. ob nicht gerade erst dank dieser Vernetzung und gemeinsamer Kampf möglich wird.

Moralinsaure Vorträge sind Lechners Sache nicht. Ihr Schreibstil ist leichtfüßig, gespickt mit (manchmal sehr betroffen machenden) Anekdoten und vielen Referenzen.

Wer sagt(e) mir, was ich schön zu finden habe?

Mit einigen Themen des Buches habe ich mir richtig schwergetan. Natürlich bin auch ich geprägt durch jahrezehntelanges Brainwashing! Was, mein lebenslanger Kampf gegen Fettpolster soll nicht intrinsisch motiviert sein? Was, mensch kann auch mit 20 kg mehr glücklich sein!? Ich rasiere meine Achseln++ (also eigentlich alles außer Kopf- und Augenhaare) vielleicht gar nicht, weil ich das will, sondern weil es andere wollen? Alles Fragen, die mensch sich nicht gerne stellt. Auch will frau nicht gerne gesagt bekommen, dass „normschöne“, noch dazu weiße, noch dazu blondhaarige Menschen wie ich, extrem viele, einander verstärkende (= intersektionale) Privilegien genießen…

Tatsache ist, dass wir alle Menschen – auch uns selbst – zu sehr nach ihrem Äußeren beurteilen. Machen wir uns das bewusst. Treten wir mutig & laut gegen Diskriminierung auf. „Verschönern“ wir lieber unser Inneres – das strahlt nach außen!

Die so gewonnene Zeit und Energie benötigen wir ohnedies dafür, den Männern die Macht zu entreißen, und den Planeten zu retten!

Elisabeth Lechner
Riot, don´t diet
Kremayr & Scheriau, Taschenbuch, 2021
240 Seiten, 978-3-2218-01254-6

Erster Satz

„Es ist Zeit für eine Schönheitsrevolution, einen Aufstand der wiederspenstigen Körper!“

Bauer und Bobo, Florian Klenk

Bauer und Bobo, Florian Klenk

Ich sags gleich: Ich bin eine bekennende Falter Fanin und daher absolut nicht unvoreingenommen. Dennoch bzw. umso mehr möchte ich dieses Buch weit über den grünen Klee loben: Klenk dokumentiert auf nur 150 Seiten, was schief läuft in der (Land-)Wirtschaft, und was wir gewinnen können, wenn wir trotz – scheinbar unüberbrückbarer – Differenzen miteinander ins Gespräch kommen.

Es ist ein Dokument über ein völlig absurdes Fördersystem, die Machenschaften des Raiffeisen-Konzerns, der Bauern und Bäuerinnen in Abhängigkeit hält, die Perversion des „Lebensmittelmarktes“ und wie wir Verbraucher*innen willig mitspielen und über die Auswirkungen des Klimawandels. Und über das produktive Potenzial eines Dialogs mit Menschen, die anders denken. All das anhand einer einzigen, wahren Geschichte über einen steirischen Bergbauern.

Es ist zudem spannend, lustig, traurig, rührend und hat – achtung Spoiler – ein Happy End!

Ich habe es allen Verwandten zu Weihnachten geschenkt. Weil ich an das Veränderungspotenzial dieses Buches glaube. Es sollte an den Schulen zur Pflichtlektüre gehören. Auch an Pflichtschulen. (Nein, es ist kein intello-Bobo-Belehrungsbuch. Ganz im Gegenteil.)

Lest es, schenkt es weiter, macht Werbung dafür. Wenn wir und unsere (Kindes-)Kinder eine Chance auf eine lebenswerte Zukunft haben wollen, müssen wir miteinander reden, Zusammenhänge verstehen, Bereicherungsmechanismen aufdecken und neue Handlungsmuster entwickeln. Asap.

Cover von Bauer und Bobo
Florian Klenk
Bauer und Bobo
Zsolnay Verlag
160 Seiten
978-3-552-07259-6

Erster Satz

Als alles vorbei war, zückte Christian Bachler seine kleine Flasche angesetzten Lärchenschnaps.

Fast Fasten Tag 8

Fast Fasten Tag 8

Heute hab ich leider kein Bild für euch 🙁

Ich war zwar wieder sehr lange spazieren – nein: walken, das klingt dynamischer – aber das Wetter war so schlecht und meine Strecke so öd, dass ich mein Telefon wirklich nur zum Podcast-Hören verwendet habe.

Das Essen hängt mir jetzt schon ein bissl zum Hals raus. Heute Mittag gabs klare Selleriesuppe, die hab ich geskipped. Sellerie und ich geht nicht zusammen. Dafür war die Karotten-Koriander-Suppe ausgezeichnet. Beide Hauptspeisen enthielten Gluten, also enthielt ich mich ihrer. Das Dessert war was für echte Masochist:innen: ungesüßtes Weichselpurée. Hab ich auch auslassen. Dafür hab ich – leider – jetzt beim Abendessen ordentlich reingehaut: Erst eine dicke Kartoffel-Lauch-Suppe, Gemüsestrudel (für mich ohne Strudel), richtig gute Braterdäpfel mit Yoghurtsauce. Komischerweise stand das Weichselpurée wieder zur freien Entnahme…

Mea Culpa

Mir ist ein echt peinlicher Irrtum passiert: Ich war bei der Fußpflege. Damit der Lack trocknen kann, setze ich mich in den sogenannten Teeraum, einen Extrabereich im Speisesaal. Und bestelle mir einen kleinen Espresso – wegen der Leber warats. Und plötzlich umfängt mich eine Wolke billigen Pfirsichduftes. So wie auf den Toiletten von Einkauszentren oder Kinos. Das eklige Zeug, das es von oben runtersprüht, wenn man die Klotüre zumacht. (Findet eigentlich irgendwer den Geruch von Kacke gemischt mit synthi-Pfirsich besser als Kacke pur? Ich nicht.)

Also dieser Duft wabbert um mich rum. Ich – immer schon extrem geruchsempfindlich – wechsle den Platz, weil ich glaube direkt unter dem Aromadiffusor zu sitzen. Hier: Same same. Nächste Ecke: Pfirsichwolke.

Die 4. Ecke ist besetzt, sonst hätte ich die auch noch ausprobiert. Mit diesem „Aroma“ in der Nase, kann ich meinen Espresso nicht mehr genießen. Ich trinke aus und geh mich beim Kellner beschweren. Echt, ich meine, wer braucht Klospray im Restaurant?!

Hier sind lauter sehr freundliche Ungar:innen beschäftigt. Der Kellner versteht mein Problem zunächst nicht. Ich „ziehe“ ihn in den Teeraum, deute auf den vermeintlichen Diffusor. Er versteht, wundert sich zwar, aber entschuldigt sich mehrmals und meint, er wird das weitergeben, dumme Idee von der Dirrektion, kann man im Restaurant ja wirklich nicht, usw.

Im Zimmer angekommen ist der Geruch allerdings immer noch nicht weg. Ich – Klo-geschädigt – denke mir, dass ich wohl genau angesprüht wurde. Hänge meine Gewand auf den Balkon. Sitze in der Unterwäsche da und stinke immer noch. Und dann taucht vor meinem geistigen Auge die Fußpflegerin auf… wie sie zu einer Pfirsich-farbenen Tube greift und mir damit die Füße massiert. ***Extremerrötung***

Ich wollte mich dann natürlich beim Kellner entschuldigen. Aber leider hatte er schon Dienstschluss. Demnach muss ich morgen Asche auf mein Haupt streuen gehen…

#MomToo

Am frühen Abend lauschte ich einem sehr spannenden online-Vortrag von Kaitlyn Chang organisiert von Strategie Austria mit dem neugierig-machenden Titel „#MomToo, Crocodiles and Swans“. Es ging um die Story hinter #MomToo, die Strategie gegen Motherhood Penalty am Arbeitsplatz und den unbewussten Gender-Bias in der Gesellschaft.

Jetzt hab ich doch ein Bild für euch 🙂

Dieses Bild von Kaitlyn Chang und ihrer Tochter bei einem Vortrag auf dem Forward Festival kursierte vor kurzem Europa-weit im Netz. Es wurde bisher von 6 Millionen Menschen angeschaut (Foto © Niklas Schnaubelt)

Das traf insofern gut zusammen, als ich gerade das Buch „Die unsichtbaren Frauen, Wie eine von Daten beherrschte Welt die Hälfte der Bevölkerung ingoriert“ von Caroline Criado-Perez lese. Ein sehr erhellendes Buch darüber, warum Männer das Maß aller Dinge – im wahrsten Sinne des Wortes – sind, und was das mit uns Frauen auf der ganzen Welt macht.

Fast high

Man sagt ja, dass nach dem Fastentief das Fastenhigh käme. Da ich ja nur fast gefastet habe, ist mein High nicht ganz so hoch. Aber ich fühle mich vor allem körperlich richtig stark. Und das meine ich wortwörtlich. Auch die Schmerzen im unteren Rücken sind weg. Ich hoffe, ich kann mir diesen Zustand möglichst lange erhalten – auch wenn jetzt viele Geburtstage (auch meiner) sowie pauschalere Feste anfallen.

Ich habe heute übrigens 14.150 Schritte gemacht, 25 Minuten Gymnastik, 25 Minuten Core-Training und 25 Minuten Stretching. Dieses Niveau werde ich nicht halten können! Dazu reicht nicht mal meine senile Bettflucht, die mich mittlerweile vor 6 aufwachen lässt! Achja: Ich habe 2032 Kalorien verbraucht.

Morgen ist nochmal Fullservice angesagt mit lauter Abschlussgesprächen und einer „intensiven Schröpfmassage“!

PS: Für daheim hab ich mir schon die super Suppe von Paul Ivic gewünscht. Die müsst ihr unbedingt probieren!

Last-Minute-XMAS-Empfehlung: 20 Bücher und wem ihr sie schenken solltet

Last-Minute-XMAS-Empfehlung: 20 Bücher und wem ihr sie schenken solltet

Sonja Franzke empfiehlt

Nino Harataschwilli, Das achte Leben
Für Sofakuschlerinnen und Pageturner, die Geschichte in der Geschichte mögen

Paulus Hochgatterer Der Tag, an dem mein Großvater ein Held war
Für Lesefaule, die trotzdem nicht auf Heldengeschichten verzichten wollen und einen Sprachqualitätsanspruch haben

Silvia Pistotnig, Tschulie
Für Bobos mit einer Schwäche für Trash, Hochstaplerinnen mit Sinn für Selbstironie, z. B. die Mutter der Schwiegertochter/Freundin

Ruth Cerha, Bora
Für die, die ab Jänner  über die Winterlänge jammern

Jon Gnarr, Hören Sie gut zu und wiederholen Sie
Für politische Seelen, die am Wahlverhalten ihrer MitbürgerInnen verzweifeln, und für alle, die meinen, Idealismus gehöre ins Museum und nicht in die Politik. Tipp: Vielleicht gleich jedem und jeder, der oder die unterm Christbaum den falschen tagespolitischen Kommentar abgeben könnte.

Ines Glatz-Deuretzbacher empfiehlt

Jen Sincero, Du bist der Hammer
Wer einen Schub in Sachen Lebensfreude und Glaube ans Gute braucht, liest oder hört am besten Jen Sincero – ist der Hammer!

Ingrid Kaltenegger, Das Glück ist ein Vogerl
Für Leichtleser – Ein alter, verunfallter Mann, der in den Träumen eines verkappten Musiklehrers erscheint – gepaart mit einer saftigen Beziehungskrise desselben: lustig und todernst zugleich.

Dallas Shaw, The Way She Wears it
Für Stilsuchende – Auf der Suche nach neuer Inspiration gegen immer gleiche Outfits, greift man am besten zu diesem herrlichen Buch von Star-Stylistin Dallas Shaw: Nach Saisonen geordnete Illustrationen, Fotos, außergewöhnliche Stilvorschläge – inklusive Kleiderkasten-Selbstreflexionen …

Daniel Kehlmann, Tyll
Für echte LeserInnen – Auch wenn man die „Vermessung der Welt“ nicht geliebt oder sogar gar nicht gelesen hat – wer diesen großartigen, unglaublich intensiven, mit Ironie, Witz und Liebe zum Detail versehnen Blick in die Zeit des 30-jährigen Krieges versäumt, ist selbst schuld.

Michaela und Nico Richter, Paleo in 15 Minuten: schlank & glücklich mit der Steinzeit Diät
Für Semmerlesser – Einmal den Wahnsinns-Turbo durch Paleo-Ernährung erlebt und nie wieder ein Semmerl angerührt … naja … oder nur mehr ganz, ganz selten …

Ich empfehle

Mariana Leky, Was man von hier aus sehen kann
Für alle, die wir lieben.

Ronja von Rönne, Heute ist leider schlecht
Für Menschen, die man nicht mag, aber irgendwie auch nicht loswerden kann wie z.B. lästige, aber nötige KundInnnen, unbeliebte Familienmitglieder, grenzüberschreitende NachbarInnen, Hauptfachunterrichtende, o.ä.

Marc-Uwe-Kling, Quality Land (Hörbuch von ihm selbst gelesen)
Für humorbegabte Zeitgenossen sowie Drohnen mit Flugangst, Sexdroiden mit Erektionsstörungen, Staubsauger mit Messie-Syndrom und E-Poetinnen sowie alle, die in die Zufkunft schauen wollen.

Elena Ferrante, Die Geschichte der getrennten Wege
Für bff (bestfriendsforever) & bmf (bestmothersforever)

Gail Honeyman, Ich, Eleanor Oliphant
Für alle, die einen liebenswerten Klopfer haben

Doris Knecht, Wald
Für alle, denen das Leben kräftig reing´schissen hat

Jonathan Safran Foer, Hier bin ich
Für alle, die großartige jüdische Literatur lieben und gerne Nachdenken beim Lesen

Hanya Yanagihara, Ein wenig Leben
Für alle, die das beste Buch 2016 noch nicht gelesen haben und sich nicht vor 960 Seiten nicht schrecken

Naomi Klein, Die Entscheidung: Kapitalismus vs. Klim
Für öko-RealistInnen, zwar schon 4 Jahre alt aber natürlich immer noch gültigst

Elena Favilli, Francesca Cavallo, Good Night Stories for Rebel Girls
„Das sind richtig tolle Gute-Nacht-Geschichten, die auf dem Nachtkästchen jedes Mädchens und jeder jungen Frau liegen sollten“ (Franziska Schweizer)

Anmerkung:
Diese Empfehlungen gelten nur, wenn die Bücher im Buchgeschäft ums Eck gekauft werden und nicht beim bösen amerikanischen Konzern, der Steuern vermeidet – obwohl sein Besitzer bereits der reichste Mann der Welt ist! –, hierzulande kaum Wertschöpfung generiert und seine MitarbeiterInnen schlecht bezahlt.

Robert Misik präsentiert im HUB sein neues Buch Kaputtalismus

Robert Misik präsentiert im HUB sein neues Buch Kaputtalismus

Das wird jetzt keine Buchbesprechung. Ich habe das Buch noch nicht gelesen. Aber gestern präsentierte Robert Misik auf Einladung der Grünen Wirtschaft sein neues Buch im HUB. Ich mag ja Misik. Er ist einer der wenigen die so über Wirtschaft schreiben, dass ich Lust hab, das auch zu lesen. Und natürlich auch, weil Misik ein Linker ist, dem es nicht an Humor mangelt.

Der HUB ist voll. Und auf den ersten Blick würde man gar nicht glauben, dass es sich um eine „grüne“ Veranstaltung handelt. Gut, die Location und das Catering der Hollerei  lassen schon vermuten, dass sich hier weder rechte noch konservative Recken treffen. Aber lauter durchwegs gut angezogene Menschen, inkl. Volker Plass, dem Bundessprecher der Grünen Wirtschaft, der optisch auch voll als Rechnungshofspräsidentenaspirant durchgehen würde in seinem dunklen Anzug (was er spätestens in dem Moment zu bereuen beginnt, als er seinen Moderatorenplatz unter den Scheinwerfern einnimmt). Kein Vollbart unter den Männern! Viele Frauen sind da! Yes! (Bei der letzten Veranstaltung dieser Art, als es um Gewinne aus ethischen Investments ging, waren die Y-Chromosome viel zu spärlich vertreten.)

plenum_MISIK

Also es ist heiß. Volker Plass hat den Zeitpunkt, das Sakko auszuziehen, bereits verpasst, als Robert Misik beginnt, in kurzen Zügen den Inhalt seines Buches zu skizzieren.

„Die Weltfremdheit der Austeritätspolitik versteht sich von selbst.“ sagt er eingangs. Nun ja, innerhalb des HUBs sicher, aber außerhalb?!

Dann folgte irgendwas, was ich nicht verstehe und ich frage mich besorgt, ob die Voraussetzung für die Teilnahme an diesem Event vielleicht war, das Buch bereits gelesen zu haben. Doch nein. Schnell wurde es wieder verständlich.

Misik möchte sein Buch nicht als Kapitalismuskritik verstanden wissen, sondern als Bestandsaufnahme, als Analyse dessen was bereits zu beobachten ist und worüber namhafte Ökonomen bereits publizieren. Dass es so nicht einfach weitergehen kann, sei uns (who is uns?) klar. (Den Entscheidungs-Eliten m.E. allerdings nicht.) Der Kapitalismus, der davon lebt, dass man zunächst Schulden macht, die man anschließend aus wachstumsgenerierten Gewinnen zurückzahlt, funktioniere nicht (mehr), wenn es kein Wachstum gibt. Und das gebe jetzt schon länger nicht mehr. /Und auch wenn die G7 in Tokio beschließen, „weltweites Wachstum zu fördern“, dann zeigt das nur, wie jämmerlich alternativenfrei auf supranationaler Ebene „gespint“ wird./

Die Symptome des Kaputtalismus sind laut Misik:

  1. niedriges Wachstum seit annähernd 40 Jahren
  2. explodierende Schulden aller Wirtschaftssubjekte (Staaten, private Haushalte, private Institutionen)
  3. dramatisches Wachstum der Ungleichheiten
  4. technologische Entwicklung, die kaum mehr Produktivitätsschübe mit sich bringt.
  5. bzw. Entkoppelung zwischen Produktivitätssteigerung, Wirtschaftswachstum und Beschäftigung (Beispiel USA)

Die Transformation werde kommen müssen. Die Frage ist nur: Kommt sie als Crash, als langsamer, schleichender Niedergang oder gestalten wir sie (und tragen so aktiv zu unserem Glück bei – wie das Wort „Glück“ im Untertitel gemeint ist)?

Misik glaubt nach wie vor an die Politik (oder will dran glauben?!). Zwar nicht an jene, die als attraktivstes Argument das kleinere Übel zu sein angibt, aber an eine neue Linke wie sie eventuell auch Herr Kern verkörpern könnte… Da bleibt Misik allerdings dann doch recht vage.

Auf die Frage, warum er den ökologischen Aspekt nahezu völlig außer Acht gelassen habe, antwortet der Autor: Dieser Aspekt eröffnet ein völlig anderes Terrain, das nicht Gegenstand dieses Buches war.

Interessanterweise wird an diesem Abend auch kaum über das Bedingungslose Grundeinkommen gesprochen. Auch wenn sich alle einig sind, dass in den nächsten wieviel-auch-immer Jahren ganz viele Jobs wegfallen werden. Der klassische Ruf der Linken nach besserer Bildung werde auch daran nichts Gravierendes zu ändern vermögen, wie Misik betont.

Ganz ohne einen Verweis auf Griechenland kommt der Abend natürlich nicht aus: In Griechenland herrsche bereits das Chaos. Die soziale Versorgung sei nicht mehr gewährleistet. Doch die Not mache nicht nur kaputt, sondern auch erfinderisch ( © Volker Plass). Sie bringe neue Formen des gemeinsamen,  Wirtschaftens hervor (peer-to-peer, „commonismen“) & sie ent-deckt (© ich) Solidariät.

Meine Standardfrage, die ich jedem postwachstumsanimierten Redner (hier kann ich mir das Gendern getrost sparen) in den letzten 6 Jahren gestellt habe, beantwortet auch Misik nicht. Vielleicht habt ja ihr eine Idee: Um den Gedanken nachzuvollziehen, dass es in einem endlichen System (Erde), kein unendliches Wachstum geben kann, braucht man keine überdurchschnittliche Begabung. Warum sehen dann alle, die ich für viel gscheiter als mich halte, immer noch Wachstum als seeligmachende Lösung an? Warum diskutieren wir – die total geheime Postwachstumssekte?! –  schon seit Jahren über alternative Szenarien, während die Weltöffentlichkeit geistig zurückgeblieben das Wachstumsmantra vor sich hin brabbelt. /Ich ernte Zwischenapplaus, was nichts an der Nichtbeantwortung der Frage ändert./

Das anschließende Buffet ist zu 100% nicht glutenfrei. Dies trübt meine Stimmung. Zur Postwachstumssekte gehört auch ein Esoteriker, der meint, wir müssen erst unser Menschenbild ändern, dann ergäbe sich der Rest von selbst.  Ich habe nicht ausreichend Alkohol zur Verfügung (Bier ist voller Gulten!), um das nachvollziehen zu wollen und ziehe mich in den Raucherhof zurück, wo ich mir das zweite Autogramm meines Lebens hole. Nicht ohne Robert – wir dürfen ihn duzen – darauf hinzuweisen, dass er der einzig noch lebende Mensch ist, von dem ich mir je ein Autogramm geholt habe. (Das erste stammte von Paul Watzlawick.) Das mache ihn verlegen, wie er sagt.

Warum lesen diese verdammten PolitikerInnen nicht solche Bücher und bringen zukunftsfähige Entwicklungen in Gang? Warum scheißen sich die vor dem Kapital so in die Hose? Die haben doch erstens eh schon ausgesorgt, und dann haben die doch auch  Kinder, die in einer lebenswerten Welt ihre Kinder großziehen möchten… Nein das habe ich nicht Robert nicht gefragt. Vielleicht steht das ja in seinem Buch. Das geh ich jetzt lesen…

Robert Misik Kaputtalismus – Wird der Kapitalismus sterben, und wenn ja, würde uns das glücklich machen aufbau Verlag, 2016, 224 Seiten

Zu bestellen zu Beispiel beim Buchkontor, der Buchhandlung hinter der Stadthalle, die ab einer Mindestbestellung von € 25,- gratis versendet.

Danke an Beate Hemmelmayer für die Fotos.

George Packer, Die Abwicklung

George Packer, Die Abwicklung

Mehrfach ausgezeichnetes Buch über den (wirtschaftlichen) Niedergang der USA seit den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts. Fesselnd geschrieben und auch für nicht-Auskennerinnen ein Sachbuch, das frau zügig durchliest.

Packer, Mitglied der Redaktion des New Yorker, liefert in Die Abwicklung – Eine innere Geschichte des neuen Amerika – tiefe Insights in ein kaputtes politische System, in dem die Demokratie praktisch abgeschafft ist. Präsidenten und Gesetze werden von Kapital und Konzern-Lobbyisten gemacht. Die BügerInnen sind nur noch zur quasi-Legitimation da und zur (finanziellen) Ausbeutung. Was Amerika heute noch zusammenhält ist die Gier.

Packer analysiert das System anhand paralleler Biografien – wie z.B. jener der einfachen Industriearbeiterin Tammy Thomas, der des Politikberaters Jeff Connaughton, der jahrelang den Republikaner Joe Biden unterstützte oder des Biodiesel-Pioniers Dean Price. Auch in unseren Breiten bekanntere Persönlichkeiten wie Oprah Winfrey, Silicon Valley-Milliardär Peter Thiel oder der Rapper Jay Z kommen vor.

Ausführlich beschreibt der Autor die Finanz- und Immobilienkrise und wer davon am meisten profitiert (hat). Er legt dar, warum bisher niemand Rechenschaft ablegen musste dafür, dass hundertausende Amerikaner ihr Erspartes und/oder ihr Dach über dem Kopf verloren haben.

Es ist eine fesselnde, wenn auch bestürzende Geschichte, die Packer erzählt. Am Ende wünscht man sich, dass alles nur erfunden wäre. Ein packender Wirtschaftskrimi, der nichts mit der Realität zu tun hat …

 

die Abwicklung
George Packer
Die Abwicklung
übersetzt von Gregor Hens
Verlag S. Fischer
512 Seiten
9783100001573

The Unwinding heißt das Buch im Original. Es wurde mit dem National Book Award ausgezeichnet und erhielt in den USA wie auch im deutschsprachigen Raum hymnische Rezensionen. So schreibt z.B. Die Zeit: „Die Abwicklung ist besser als jeder Roman.“, die New York Times Book Review: „Packend, tief berührend, herausragend erzählt.“

Erster Satz: Niemand kann mit Sicherheit sagen, wann die Abwicklung begann – wann die Bürger Amerikas zum ersten Mal spürten, dass die Bande sich lösten, die sie sicher, manchmal erdrückend fest wie eine eng gewicklete Spule, zusammengehalten hatten.“

Womit ich nie gerechnet habe – Götz Werner

Womit ich nie gerechnet habe – Götz Werner

Die Autobiographie des DM-Gründers – oder : Man muss kein Arschloch sein, um wirtschaftlich erfolgreich zu sein.

Business-Wälzer sind im Normalfall nicht meins – ess sei denn es handelt sich um branchenspezifische Pflichtlektüre. Aber ich hatte über den Anthroposophen Götz Werner schon des öfteren gelesen und wollte – sozusagen aus erster Hand – erfahren, wie man derart erfolgreich werden kann, mit einer – scheinbar – so „wirtschaftsfremden“ Weltanschauung wie der Anthroposophie.

Die gute Nachricht: Es geht. Die schlechte Nachricht: Es macht viel Arbeit.

Götz Werner hat den Drogisten im Blut. Er lernt den Beruf und das Unternehmertum von der Pieke auf. Um dann nach und nach alles über Bord zu schmeißen, um Management und Leadership völlig neu zu denken und umzusetzen. Er hat es geschafft, selbst in einem so riesigen „Konzern“ wie DM heute ist*,  die Wertschätzung für den Menschen – sei es der Mitarbeiterin oder der Kundin – in den Mittelpunkt zu stellen. Völlig zurecht sagt Der Tagesspiegel daher: „Ach wie schön wäre es, wenn die Regierung einen hätte wie Götz Werner…“

Es sind zunächst keine weltbewegenden Erkenntnisse, von denen Götz Werner erzählt. Aber er denkt sie konsequent bis zum Schluss und setzt sie dann auch um – und das macht den großen Unterschied.

„Viele Pioniere glauben, dass sie mit ihren bisherigen Fähigkeiten auf Dauer erfolgreich bleiben könnten. Sie handeln aus Empirie: Ich war in der Vergangenheit erfolgreich, ich werde es auch in Zukunft sein. Sie wollen reproduzieren. Sie schauen zurück (auf ihre Erfolge aus der Vergangenheit) und gehen vorwärts (in eine ungewisse Zukunft). Und dann, weil sie eben nicht sehen wohin sei gehen, fallen sie in einen Graben. Solches Handeln aus Empirie ist töricht: Wenn sich die Verhältnisse ändern, braucht man andere Fähigkeiten um erfolgreich zu sein.“

Der Unternehmer Werner lernt die Anthroposophie kennen. Immer weiter hinterfragt er sich selbst und sein unternehmerischen Handeln und nimmt dabei den anthroposophische Blickwinkel ein:

„Wer war für wen da? Der Kunde? Die Mitarbeiter? Das Unternehmen? Ist der Mensch Mittel oder Zweck?
Diese Fragen verfolgten mich. Mit der Zeit wurde es immer klarer: Nichts auf der Welt wird gemacht, ohne dass der Mensch das Ziel ist. Also ist der Mensch nie Mittel, immer Zweck. (…) Damals vollzog sich eine entscheidende Wende. Wenn man mit diesen Fragen anfängt, wenn man das ernst nimmt, also nicht nur versteht, sondern auch fühlt, dann schaut man anders in die Welt. Und wenn man anders in die Welt schaut, entdeckt man etwas anderes, und dann macht man den Unterschied. Dann fängt man an, sein Unternehmen in eine andere Richtung zu führen. Die Frage: Wer ist für wen da?, zieht automatisch die Frage nach sich: Ist das Unternehmen für den Gewinn da oder der Gewinn für das Unternehmen?“

Wahrscheinlich handelt einer, der fest an die Wiedergeburt glaubt auch umsichtiger als einer, der an die der Beichte bzw. an „hinter-mir-die Sintflut“ glaubt.

Jedes Kapitel enthält zitierfähiges Material – ob es um flache Hierarchien geht („Das Ziel der Organisation ist, dass möglichst viele im Sinne des Ganzen intelligent handeln.“, „Wer will findet Wege; wer nicht will findet Ausreden.“), Tabubrüche wie die Abschaffung der Sonderangebote oder die der ,99-Endungen; klare Aussagen zu Anreizsysteme wie Bonifikationen („Bonuszahlungen verhindern Leistung, weil sie den Blick auf die eigentliche Aufgabe vernebeln.“), usw., usf.

Womit ich nie gerechnet habe ist uneingeschränkt empfehlenswert. Allen ManagerInnen, EnterpreneurInnen und sonstigen Businessmenschen sowieso und allen anderen auch. Es eröffnet neuen Perspektive auf das eigene Handeln,  evoziert Reflexion und beschert häufige Aha-Erlebnisse. Vor allem nährt es die Hoffnung, dass es nicht nur rücksichts- und/oder ahnungslose Arschlöcher zu was bringen können.

Was allerdings die Übertragung dieser Hoffnung auf die Politik betrifft, so bleibe ich pessimistisch, vor allem wenn eine der Prämissen lautet:

„Das Ziel der Organisation ist, dass möglichst viele im Sinne des Ganzen intelligent handeln.“

götz werner
Götz Werner
Womit ich nie gerechnet habe
Ullstein Buchverlag, Berlin 2013
ISBN 9783430201537

*1976 eröffnet die erste österreichische dm Filiale in Linz. Heute ist dm drogerie markt europaweit in zwölf europäischen Ländern mit fast 2.900 Filialen präsent. Über 49.000 Menschen arbeiten in ganz Europa bei dm – davon 6.000 in Österreich. (Quelle: www.dm-drogeriemarkt.at)

Thomas Sedlacek, David Orell, Bescheidenheit – Für eine neue Ökonomie

Thomas Sedlacek, David Orell, Bescheidenheit – Für eine neue Ökonomie

Was wir aus der Krise (Finanzkrise; Anm.) lernen sollten: Ein Ökonom (Thomáš Sedláček) und ein Mathematiker (David Orrell) im Gespräch.  Sie stellen die Theorien infrage, auf denen unser Wirtschaftssystem aufgebaut ist. Sie beweisen, dass „wir nichts wissen“ – und dennoch so tun als ob wir alles wüssten. Viel wäre gewonnen, wenn wir dies zugeben könnten, denn dann könnte vielleicht etwas Neues entstehen. Großartig in diesem Zusammenhang folgende Anekdote: „Als der Ökonom Kenneth Arrow während des 2. Weltkrieges als Meteorologe bei der Luftwaffe arbeitete, stellte er fest, dass seine Vorhersagen, ebenso wie die seiner Kollegen um nichts besser waren als Zufallsentscheidungen. Er sagte das seinem Vorgesetzen. Und was antwortete dieser: Der General war sich völlig bewusst, dass die Vorhersagen nichts taugten. Arber er brauchte sie für seine Planung.“

David Orrel und Thomáš Sedláček sprechen so, dass ich – Antimathematikerin und Küchenökonomin – sie ausgezeichnet verstehe. Das Buch ist nicht mal A5 groß und hat 117 Seiten. Es sei all jenen empfohlen, die Politik machen und jenen, die darunter leiden.

Lesen! Und zwar vor der Wahl.

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