Elizabeth Strout, Die langen Abende

Elizabeth Strout, Die langen Abende

Für manche Bücher ist man zu alt, für andere ist man zu jung. Für den Roman der amerikanischen Pulitzer-Preis-Gewinnerin Elizabeth Strout bin ich jedenfalls (noch?) nicht die richtige Zielgruppe. Wobei: Wer will schon zu irgendeinem Zeitpunkt so genau wissen, wie es sich anfühlt zu altern? Ich meine: So richtig zu altern! Mit Inkontinenz und Demenz und weiteren entwürdigenden Zuständen.

Aber wenn man darüber lesen will, dann ist Strouts Heldin Olive Kitteridge die richtige. Schon immer widerborstig und vorlaut, bewältigt sie auch die Herausforderungen des Älterwerdens mit distanzierter Selbstironie. Die Einsamkeit, unter der sie zuweilen leidet, macht sie nicht angepasster. Da sie oft einfach sagt was sie denkt, kommt sie mit ihren Mitmenschen nicht gut aus. Dabei verbirgt sie hinter ihrer Ruppigkeit ein mitfühlendes Herz und ehrliches Interesse.

Strout, Jahrgang 1956, beschreibt die Fogen und Begleitumstände des Alterns schonungslos: die Kinder, die sich – auch weltanschaulich – entfernen, die Freund*innen und Ehemänner, die wegsterben, der Verlust der Attraktivität – und damit einhergehend die Erkenntnis, dass sich niemand mehr in einen verlieben wird. Es sind ein paar große und tausend kleine Abschiede, die Olive hinnehmen muss. Mal gelingt ihr das besser, mal schlechter.

Dennoch ist Die langen Abende kein deprimierendes Buch. Olives genaue Beobachtungsgabe, ihre unzensurierten Schlussfolgerungen und ihre Schnoddrigkeit machen das Buch eher lustig zu lesen. Vor allem dann, wenn man es schafft, zu verdrängen, dass wir alle (hoffentlich?) einmal so alt werden…


Elizabeth Strout
Die langen Abende
übersetzt von Sabine Roth
352 Seiten
btb Taschenbuch
978-3-442-77049-6

Erster Satz

An einem Samstag im Juni, kurz nach Mittag, setzte Jack Kennison die Sonnenbrille auf, ließ das Verdeck seines Sportwagens herunter, spannte den Gurt über seinen nicht eben kleinen Bauch und fuhr von Crosby, Main, hinüber ins fast eine Stunde entfernte Portland, um sich seinen Whiskey dort zu kaufen, weil ihm nicht danach war, im hiesigen Lebensmittelladen Olive Kitteridge in die Arme zu laufen.

Clara Maria Bagus, Die Farbe des Glücks

Clara Maria Bagus, Die Farbe des Glücks

Da ich zurzeit eine Ausbildung in Positiver Psychologie mache, ist mich der Titel gleich angesprungen. Ein schönes Cover und die prominenten Fürsprecherinnen wie Markus Lanz („Die großen Themen des Lebens – verdichtet zu einem sprachlich überwältigenden Werk.“), Nele Neuhaus („Clara Maria Bagus beherrscht die Kunst des heilenden Erzählens.“) oder der Werber Jean Remy von Matt („Ein wunderbarer Roman […] großartig komponiert, voller Weisheit, Emotionalität und Zuversicht.“) machten es praktisch unmöglich, das Buch nicht zu kaufen.

Ja, mhm. Ich bin ein bisschen überwältigt von der Geschichte. Würde ich nicht ausschließlich im Liegen lesen, sie hätte mich umgehauen. Sie ist quasi der Weisheit letzter Schluss. Die Bibel der Menschlichkeit, der Kanon der Moral. Wer Fragen zum Leben hat: Hier sind die Antworten. Alle. Und dann ist sie auch noch schön geschrieben, vielleicht doch ein bisschen konstruiert, um alle Botschaften unterzubringen, aber flüssig zu lesen.

Die letzten 20 Seiten habe ich nicht mehr geschafft. Nachdem ich erst vor ein paar Monaten meinen Vater verloren habe, war mir der Abschnitt über „wie aus dem Tod Neues enststehen kann“ too much.

Die Farbe von Glück muss man als Ratgeber lesen. Häppchenweise zu sich nehmen. Verdauen, Nährstoffe speichern. Ruhen. Nächstes Häppchen.

Vielleicht hätte ich auf diese Weise Die Farbe von Glück mehr genießen können.

Buchtitel die Farbe des Glücks
Clara Maria Bagus
Die Farbe von Glück
352 Seiten
Piper Verlag
978349205995

Erste Sätze

Menschen unterscheiden sich in ihren Träumen. In ihren Hoffnungen sind sie alle gleich.

PS: Im Übrigen bin ich der Ansicht, dass man Bücher nicht bei Amazon kaufen darf.

Must-Hear: Cornelius Obonya liest die Emmerich-Krimis von Alex Beer

Must-Hear: Cornelius Obonya liest die Emmerich-Krimis von Alex Beer

Ich bin ja ein großer Hörbuch-Fan. Mittelmäßige Geschichten können — vom richtigen Menschen gelesen — zu großem Hörgenuss werden. Umgekehrt kann einem eine furchtbare Stimme jedes noch so große Werk vergällen.

Bei der August-Emmerich-Krimiserie stimmt jedoch alles: Burg-Schauspieler Cornelius Obonya lässt ein Panakustikum entstehen, dass man glaubt mindestens 10 verschiedene Schauspieler*innen (sic!) hätten die Geschichte eingesprochen! Seine Bandbreite ist phänomenal, er hat die ganze Dialektvielfalt der untergegangenen Monarchie drauf! Sogar Frauenrollen wirken bei ihm nicht aufgesetzt. Er lässt glaubwürdige Charaktere entstehen und hält sie bis zu ihrem Lebensende kongruent durch — wenn es die Schöpferin zulässt, bis zum dritten Band!

A propos authentisch: Die Autorin Alex Beer erschafft eine ganz dichte, lebensechte Atmosphäre. Zusammen mit Obonyas „Übersetzung“ befindet man sich mittendrin im vom ersten Weltkrieg verheerten Wien. Man hungert mit den vielen Hoffnungslosen, leidet mit den Kranken, friert mit den Zerlumpten.

Wunderbar facettenreich sind die Protagonist*innen. Schwarz und weiß sind nie klar von einander zu unterscheiden. Und Gesetz bedeutet nicht nicht immer Gerechtigkeit, Emmerich allerdings weiß wofür er eintritt.

Der Kommissar mit dem Granatsplitter im Bein ist auch eine sehr ambivalente Person. Beinahe immer grantig aber herzensgut, mitfühlend, ist er doch selbst ein gepeinigter.

Ein toller Charakter ist auch sein Assistent Winter. Das enteignete, schmächtige Aristokratensöhnchen, das nur langsam mit seinen Aufgaben wächst und dennoch für seine Prinzipien einsteht (und einsteckt ;-).

Wenn dann der Pülcher bei der Endstation vom 49er am Gasthaus Prilisauer vorbei, durch den Ferdinand-Wolf-Park, über die Bräuhausbrücke den Wienfluss überquert, um anschließend im Lainzer Tiergarten zu verschwinden, bin ich als Penzingerin mittendrin in der Geschichte vom Zweiten Reiter! Grandios!

Bisher sind drei August-Emmerich-Krimis erschienen.

Bitte unbedingt noch mehr vom Duo Beer+Obonya!

Sally Rooney, Normal People

Sally Rooney, Normal People

Wie soll man an bedingungslose Liebe glauben, wenn sonst nichts im Leben bedingungslos ist?

Sally Rooney, der Shootingstar der jungen irischen Literaturszene, hochgelobt vom Feuilleton wie auch von Frauenzeitschriften, ist ein Must-Read (mittlerweile auch ein Serien-Must-See).

Ihr Normal People hat das Potenzial, Klassiker der Schullektüre wie J.D. Salingers Catcher in the Rye abzulösen. Doch das wusste ich noch nicht, als ich – auf den Zug wartend – spontan zugriff. (Englische Buchcover sind einfach um so vieles optisch und haptisch attraktiver!)

So viel Lob und Auszeichnungen (Winner Costa Novel Award, The Irish Book Award, British Book Award, Longlist Man Booker Prize! und noch viele andere), das kann ja nur super werden! Selbst wenn es um eine Coming-of-Age-Geschichte geht, für die ich eigentlich schon deutlich zu alt bin…

Zunächst hab ich mir schwer getan. Die Geschichte zwischen Marianne und Connell entfaltet nur langsam ihr Drama. Rooney erzählt eher beiläufig (siehe erster Satz). Bei 265 Seiten glaubte ich dann schon nicht mehr dran. Aber die Falter-Buchclub-Fans haben mich ermutigt. Und ich bin ihnen sehr dankbar. Nach dem ersten Drittel hat das Buch ein starkes Momentum entwickelt, ich wollte es nicht mehr aus der Hand legen.

Rooney beschreibt einfach und glaubwürdig, was Klassenunterschiede auch im 21.Jahrhundert anrichten können, die Brutalität von jugendlichen Cliquen, wie sich Gewalt und Missbrauch in die Psyche einfräsen und Selbstzweifel und -hass hinterlassen. Aber auch welche Unsicherheit die Zeit zwischen 20 und 30 bereithält, welche Wege man nehmen könnte (müsste?), warum man sie nicht nimmt, was hätte sein können. Und dann diese bedingungslose Liebe an die man nicht glauben kann, wenn nichts sonst im Leben bedingungslos ist.

„Normal People“ ist der ideale Titel. Ein bisschen Marianne und Connell steckt in uns allen. Und wenn nach außen hin alles normal aussieht, so können sich innendrin die größten Dramen abspielen!

Sally Rooney
Normal People
Faber & Faber 2018
265 Seiten
978-0-571-33465-0

Erster Satz:
Marianne answers the door when Connell rings the bell.

Wenn ihr jung seid: Lest das Buch! Anderen geht es auch so – oder noch schlimmer!

Wenn ihr älter seid: Lest das Buch! Erinnert euch an eure Zweifel, habt Verständnis, seid froh, dass ihr ganz viele Fragen bereits beantwortet habt.

Das Leben ist „Weiterwurschteln“ wie Josef Hader mal gesagt hat. Sally Rooney schreibt davon.

PS: Im Übrigen bin ich der Ansicht, dass man Bücher nicht bei Amazon kaufen darf.

Dörte Hansen, Mittagsstunde, gelesen von Hannelore Hoger

Dörte Hansen, Mittagsstunde, gelesen von Hannelore Hoger

Dörte Hansen ist eine Sprachmalerin. In ihren Geschichten passiert nicht viel. Die Menschen leben ihr ganz normales Leben auf (sic!) dem Dorf. Und obwohl nichts Außergewöhnliches geschieht, macht es große Freude der Story zu folgen! So auch Mittagsstunde: Hansen erzählt die Geschichte der Familie Feddersen und des langsamen Untergangs ihres Bauerndorfes in Ostfriesland.

Hansen entwirft ein wunderbares norddeutsches Stilleben. Kauzige Charaktere, verschliffen vom stets wehenden Wind auf der Geest. Eine großartig biedere Geschichte, mit all den kleinen Tragödien, den Liebesgeschichten, den Enttäuschungen und Hoffnungen, die so ein normales Leben nun mal mit sich bringt. Und schicksalsergebene Toleranz und Langmut bis zur Unaushaltbarkeit.

Das Plattdeutsch, das immer wieder vorkommt, muss man nicht verstehen. Es bildet den rauen Soundtrack. Vielleicht als Kontrast zu den stets präsenten picksüßen deutschen Schlagern …

Die Vorleserin, Hannelore Hoger (bekannt aus dem Fernsehen als „Bella Block“), schnarrt den Text mehr als sie ihn spricht. Sie ist total authentisch, sie spricht – in meinen Ohren – originales Plattdeutsch. Englisch liegt ihr weniger 😉 Als läse sie den Text zum ersten Mal, schleicht sich in ihre Stimme immer dann ein Lächeln, wenn der Text witzig wird. Manchmal liest sie so monoton wie ich mir das flache – flurbereinigte – Ostfriesland – vorstelle.

War ich von „Altes Land“ schon begeistert, so hat mich Dörte Hansen einmal mehr beeindruckt mit ihrem großen Repertoire an überraschenden Sprachbildern. Elf Stunden, in denen nichts passiert, und einem dennoch nie langweilig ist!

Hörbuch Mittagsstunde mit Preisangabe von € 22,70

Eva Schmid, Die untalentierte Lügnerin

Eva Schmid, Die untalentierte Lügnerin

Ich hab mich ja bemüht, heuer nur Autorinnen zu lesen. (Wobei mir Stephan Zweig mit seiner Magellan-Biografie untergejubelt wurde. Tauchte plötzlich auf meinem Nachtkästchen auf, genau zu dem Zeitpunkt als ich Buch- und somit Schutz-los war…)

Also Eva Schmid, weil, Österreicherin, Ö1-Buch des Monats und Longlist des Deutschen Buchpreieses und „So geht das Wunder von Literatur“ (Klappentext, Sabine Vogel, Berliner Zeitung). Mhm. Sicher gut geschrieben. Aber ich fange mit so ereignislosen, vor sich hinplätschernden Schilderungen banaler Leben einfach nichts an. Erinnerte mich sehr an Friederike Gösweiner Traurige Freiheit.

Es macht nichts in mir, es macht nichts mit mir.

Eine junge Frau, die keine einfache Kindheit hatte (kein Vater, desinteressierte Mutter, verstreute Brüder), weiß nicht, wie es in ihrem Leben weitergehen soll. Dank ihres reichen Stiefvaters – der einzige, dem scheinbar etwas an ihr liegt – hat sie keine materiellen Sorgen. Sie jobbt in einem Museum, geht oberflächliche Bindungen ein, löst sie wieder. Zum Schluss – naja, lest selbst.

Wie ein gut komponiertes, monotones Musikstück lullt einen der Text ein. Man merkt kaum, dass man ein paar Zeilen verpasst hat, weil einem die Augen zugefallen sind. Dann ist es aus und man denkt sich: „Und?“ oder auch „Jo, eh.“ Dabei mag ich durchaus leise Bücher, wie zum Beispiel von einem meiner Lieblingsautoren Peter Henisch. Auf 208 Seiten habe ich mir keinen einzigen be-merkenswerten Satz angestrichen…

buchdeckel eva schmidt
Eva Schmidt
Die untalentierte Lügnerin
Jung und Jung
208 Seiten
978 3 99027 230 5

Erster Satz:
Mit neunzehn war Maren zum ersten Mal von zuhause ausgezogen

Angelika Waldis, Ich komme mit

Angelika Waldis, Ich komme mit

Leben ist, wenn man Sterben das Letzte findet.

Komisch: Der zweite Roman en suite bei dem es ums Sterben geht?! Ich fand Wissers Königin der Berge wirklich gut. Aber Ich komme mit liegt mir viel mehr. Vielleicht weil es von einer Frau geschrieben wurde…

Ähnlich wie Wisser, hat Angelika Waldis ein sehr entspanntes Verhältnis zur Sprache. Sie erfindet Wörter, schreibt ein-Wort-Sätze. Hört mittendrin auf, wenn etwas nicht sag-/schreibbar ist. Je mehr es dem Ende zugeht, umso reduzierter wird das Gesagte. Manchmal schlägt das Schweizerische durch. Das fühlt sich dann komisch an.

Vita ist 72. Sie ist des Lebens ein wenig müde. Ihr Sohn lebt weit weg in Australien und meldet sich fast nie. Ihre Füße schmerzen. Sie ist einsam. Lazy, ihr Nachbar, ist grad mal 20. Außer Grüßen am Gang, „Alo Maier“, verband sie bisher nichts. Doch das ändert sich, als Lazy die Diagnose Leukämie bekommt. Vita nimmt Lazy bei sich auf. Sie planen eine (letzte?) große Reise.

Humor, Komik, Poesie, Banalität. Waldis schaukelt uns sanft dem Ende entgegen. Zwischen schmutziger Wäsche und Marillenkuchen haut sie uns Aphorismen um die Ohren “ Das Leben ist wie ein Geschenk. Man kanns nur einmal auspacken. “ Sie gibt (Mausi) und sie nimmt (Ausi).

Manches ist mir zu „Faust-aufs-Aug“ wie zum Beispiel dass die Protagonistin Vita heißt. Vita Maier. Das normale Leben quasi. Oder Aydan, die Schöne Tochter des Taxifahrers, die vom Mond kommt.

Ich komme mit erinnert mich ein bisschen an Mariana Leky, Was man von hier aus sehen kann. Es hat auch so einen heiteren Grundton, einen schrägen Humor, einen – grundlosen? – Optimismus.

Jedenfalls mag ich Bücher, bei denen es ums Sterben geht und ich nicht weinen muss (wobei eich bei Mariana Leky schrecklich geplärrt habe!). Eine unbedingte Leseempfehlung für Jung und Alt und sehr Alt.

Mein Lieblingsbuch 2018.

Danke an Sonja Franzke für die Empfehlung!

Angelika Waldis
Ich komme mit
Verlag Wunderraum
224 Seiten
9783336547975

Erster Satz:

Gott, hast du mich erschreckt!

Übrigens auch optisch ein sehr schönes Buch!


Doris Knecht, Gut, ihr habt gewonnen

Doris Knecht, Gut, ihr habt gewonnen

Ich gestehe gleich: Ich bin Knecht-Fan. Immer schon gewesen. Ich liebe ihre Kolumnen und verschlinge ihre Romane. Erwartet euch also kein objektives Urteil. Wobei hier auf meinem Blog ohnehin alles total subjektiv ist 😉

Gut, ihr habt gewonnen ist eine Sammlung von Kolumnen, die schon ein paar Jährchen auf dem Buckel haben – um genau zu sein 10. Ich habe das Buch nur deshalb gekauft, weil ich auf der Secondhand-Medienplattform Momox etwas anderes gekauft habe, da ging das gleich mit… so wie der Roman Besser ebenfalls von der Knecht.
Der Lange (ihr Mann) ist mittlerweile Geschichte, die Mimis (ihre Zwillingstöchter) sind (fast) erwachsen. Dieses Wissen schmälert den Spaß an den kurzen Geschichten gar nicht. Im Gegenteil: Manches erklärt sich quasi retrospektiv 😉  Und wenn man selbst Elt (Einzahl von „Eltern“, die unbedingt Eingang in den Duden finden sollte) ist,  und die Trotz- und sonstigen Phasen der Fratzen noch gut in Erinnerung hat, kann man gemeinsam zurückblicken und sich denken: ja es war schon zach, und unfair und mühsam. Aber dennoch blickt man wehmütig darauf zurück. Seufz!

Gut, ihr habt gewonnen ist allen zu empfehlen, die Kinder haben, die noch klein sind – die Geschichten sind kurz, man kann sie gut zwischen zwei Wutanfällen lesen. Oder schon groß und gelassen genießen.

Doris Knecht, Gut ihr habt gewonnen
Doris Knecht, Gut ihr habt gewonnen
Czernin Verlag
175 Seiten
978 3 7076 0274 6

Es ist aber auch der Beweis dafür, dass es uns geht. Dass unsere Sorgen klein sind, und wir uns nicht ums Essen Gedanken machen müssen, sondern ums gute Essen. Es macht dankbar und demütig (also  mich zumindest).

Wer mehr Kolumnen von Doris Knecht lesen will muss unbedingt den Falter abonnnieren. (Aber das muss man heutzutage sowieso! ) Und/oder ihr fangt an mit So geht das! Wie man fidel verspießert, meine Knecht-Einstiegsdroge. (Sagt nicht, ich hätte euch nicht gewarnt!)

Erster Satz:

Noch immer existieren Freunde, die unsere Urlaubsfotos nicht gesehen haben.

Gertrude Pressburger, Gelebt, erlebt, überlebt

Gertrude Pressburger, Gelebt, erlebt, überlebt

Gertrude Pressburger hat den Holocaust überlebt. Als „Frau Gertrude“ hat sie 2016 mit ihrem eindringlichen Videappell wahrscheinlich den Bundespräsidentenwahlkampf zugunsten  von Alexander Van der Bellen entschieden.

Ihre Geschichte hat sie 90jährig der Journalistin Marlene Groihofer erzählt. Es ist kein literarisches Meisterwerk. Es ist die sehr authentische Geschichte eines Kindes, das Rassismus, Vertreibung und die Gräuel in den NS-Konzentrationslagern am eigenen Leib erlebt hat.

Gertrude lebt mit ihren 2 Brüdern, ihrem Vater und ihrer Mutter in Meidling. Ihr Vater ist Tischler. Sie leben in einfachen Verhältnissen. Die familiäre Verbundenheit ist groß. Beim Anschluss Österreichs ist Gertrude 10 Jahre alt. Bald beginnen die Schikanen – staatliche wie „private“. Es folgt eine Flucht-Odysee mit vielen Stationen, unter teilweise bereits schrecklichen Umständen. In Yugoslawien wird die ganze Familie 1944 schließlich verhaftet und nach Ausschwitz deportiert. Gertrudes Mutter und ihre beiden Brüder werden gleich nach der Ankunft ermordet. Das Schicksal ihres Vaters ist lange ungewiss. Doch auch er überlebt nicht. Nur Gertrude.

Marlene Groihofer ist Gertrude Pressburgers Chronistin. Sie greift nicht spürbar in die Erzählung ein. Die einfachen Worte, mit denen Gertrude Pressburger ihre Erlebnisse, ihre Gefühle schildert, werden dadurch umso eindringlicher.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand, der dieses Buch liest, jemals Sympathien für rechtsnationale, rassistisches Gedankenagut aufbringen kann.

Kauft es, lest es, verschenkt es. Schickt es den LehrerInnen eurer Kinder oder gebt es ihnen selbst zu lesen. Gertrude Pressburger war 10 Jahre alt, als der Nazi-Alptraum für sie begann. Vielleicht ist das zu früh, so ein Buch zu lesen. Wobei, wenn ich mir vostelle, wieviele Tote, Morde und Gemetzel Kinder bis zu ihrem 10 Lebensjahr im TV oder im Computerspiel gesehen bzw. „begangen“ haben, ist es vielleicht doch nicht zu früh!

Es wird nicht mehr lange Zeitzeugen geben, die berichten können, wie alles begann, und welche unvorstellbaren Grausamkeiten tatsächlich verübt wurden – ganz legal.

Gertrude Pressburger, Marlene Groihofer
Gelebt, erlebt, überlebt
Zslonay Verlag
204 Seiten
978 3 552 05890 3

Erster Satz: Es gibt Nächte, in denen fällt es mir schwer, einzuschlafen.

 

Anna Herzig, Sommernachtsreigen

Anna Herzig, Sommernachtsreigen

Warten zwei Männer auf den Nachtbus, sagt der eine …

Anna Herzigs Sommernachtsreigen liest sich ein bisserl wie ein (langer) Witz. Jedenfalls wie ein urwienierisches Gschichtl. Kann wahr sein, muss aber nicht. Mit viel Humor erzählt. Viele alkoholinspirierte Lebensweisheiten. Nüchterne Bonmots gibt die Erzählerin von sich. Die bringt Ordnung in das chaotische Leben von Bertl, Pawel und Johanna.

Es ist eine Geschichte über Liebe, Ehrlichkeit, Mut, Schicksal, falsche und richtige Entscheidungen. Über Ottakring und Instanbul. Und am Ende wird der Pawel bemerken, dass ihm „ein ganz neues Paar Augen geschenkt worden“ ist und die Johanna wird nach Istanbul fahren.

Und du wirst froh sein, das Gschichtl gelesen zu haben. Sonst wären dir Sätze entgangen wie:

Das Leben gibt dir viel, aber ganz sicher keine Anleitung.

Sich aus seiner von Geburt an zugeteilten Haut herauszuschälen, ist kein angenehmer Vorgang.

Zwischen zwei Frauen zu sein, ist nur spannend, wenn man nackt ist.

Keiner sucht sich aus, was er für einen Kopf hat.

Rudern, kentern, blöd schauen und keinen Plan zu haben, welche Richtung gut ist, gehört halt auch zum Menschsein dazu.

Wahnsinn kann zart sein und muss nicht immer klinische Symptome aufweisen.

Anna Herzig
Sommernachtsreigen
Voland & Quist
176 Seiten
9783863912024

Voland & Quist ist ein spannender, kleiner, unabhängiger Verlag aus Deutschland. Er wurde 2004 gegründet und steht für junge, zeitgemäße Literatur. Vielen Büchern liegt eine CD bei (diesem nicht), auf der sich neben Lesungen der AutorInnen selbst oft auch Bonusmaterial befindet. Der Verlag veröffentlicht hauptsächlich Lesebühnenliteratur, Spoken-Word-Lyrik, Romane und Erzählungen junger osteuropäischer AutorInnen sowie Kinderbücher.

Erster Satz:

„Wir müssen ehrlich sein, Hannerl“, sagt der Bertl zu seiner Frau.

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