Radek Knapp, Der Mann, der Luft zum Frühstück aß

Radek Knapp, Der Mann, der Luft zum Frühstück aß

Mit Büchern ist es ja ein bisschen so wie mit Essen: Manches Buch ist ein wahrer Festschmaus: viele Gänge werden auf einem sorgfältig geschmückten Tisch in großer Runde mehr zelebriert als einfach nur gegessen (z.B. Ein Wenig Leben von Hanya Yanagihara). Dann gibt es fettes, ungenießbares Fastfood – das wir nur essen, weil uns Werbung künstliche Zusatzstoffe süchtig gemacht haben. Wir schlingen es hinunter, verspüren Instantvergnügen gefolgt von anhaltender Übelkeit und schlechtem Gewissen (nein, kein Beispiel!). Ganz  im Unterschied zu jenen gesunden, leichten, farbenfrohen Snacks, die mit wirklich nahrhaften Zutaten liebevoll zubereitet werden.

Radek Knapps Der Mann, der Luft zum Frühstück aß ist so ein Super-Snack: knappe 109 unterhaltsame Seiten, niveauvoll, entzückend, naiv & klug gleichzeitig. Knapp erzählt die Geschichte des jungen Walerian, der mit 12 Jahren von seiner verrückten Mutter von Polen nach Wien entführt wird. Wie Walerian versucht, in dieser Fremde Fuß zu fassen, ihm dem aber – große Verwunderung ! – das goldenen Wienerherz verschlossen bleibt. Wie es ihm aber dennoch gelingt, sich neu zu verwurzeln und er als Heizungsableser dabei jemandem das Leben rettet.

Weihnachtskaufempfehlung für FreundInnen,  liebe Tanten & Onkeln, ehemalige LieblingslehrerInnen.

Radek Knapp Der Mann, der Luft zum Frühstück aß
Radek Knapp
Der Mann, der Luft zum Frühstück aß
Deuticke, Wien
109 Seiten
ISBN 978 3 552 06336 5

Erster Satz: Niemand wusste so richtig, was im Kopf meiner Mutter vorging.

Unbedingt hören: Mariana Leky, Was man von hier aus sehen kann.

Unbedingt hören: Mariana Leky, Was man von hier aus sehen kann.

Solltest du dir je überlegt haben, selbst einen Roman zu schreiben, wird dich dieses (Hör-)Buch eines Besseren belehren. Es kann nur wenig kommen, das klüger + feinfühliger + liebevoller + komischer (im Sinne von skurril)  daherkommt, als Mariana Lekys Was man von hier aus sehen kann. Ich hab sowas noch nie gelesen (gehört). Am ehesten erinnert es mich an skandinavische Komödien (Ein Mann namens Ole; Elling). Jedenfalls ganz großes Kino, das uns aus diesem kleinen Dorf im deutschen Westerwald geliefert wird. Ein Buch für meine ganz persönliche Bestenliste!

Dieses Buch wurde ohne jeden Zweifel von einer alten, schönen Seele geschrieben …

Selma sieht den Tod voraus. Immer wenn ihr ein Okapi (sic!) im Traum erscheint, wird jemand aus dem Dorf sterben. Im Angesicht des eventuell bevorstehenden Todes – Selma weiß nicht wen es treffen wird – wollen die DorfbewohnerInnen lieber ihre Angelegenheiten in Ordnung bringen. Dass das mitunter noch viel komplizierter ist, als sie sich das ohnedies vorstellen und mitunter Jahrzehnte dauern kann, davon handelt dieses großartige kleine Buch. Und von Aufhockern und Verschreckungen und wie man sie wieder los wird und von einem buddhistischen Mönch, den man auf keinen Fall mehr loswerden will.

Das ideale Weihnachtsgeschenk für alle, die keine Action brauchen um bewegt zu sein.

Ihr solltet euch (bzw. den Beschenkten) unbedingt (auch) die Hörbuch-Version gönnen.  Sandra Hüllers Stimme passt perfekt in diese quasi-skandinavische Umgebung.  Sie trifft jeden Ton genau und trägt – ich hab das Buch (noch) nicht gelesen – ungemein zur Stimmung der Geschichte bei.

wasmanvonhieraussehenkann
Mariana Leky, Was man von hier aus sehen kann
Gesprochen von: Sandra Hüller
Spieldauer: 08 Std. 01 Min.
Anbieter: tacheles! / Roof Music

Hier geht´s zur Hörprobe

 

Ronja von Rönne, Heute ist leider schlecht

Ronja von Rönne, Heute ist leider schlecht

Wer auf den Misantropen wohnt, ein Wochenendhäuschen in der Fickt-Euch-Allee sein Eigen nennt, wer auf Sarnagel-Humor gepaart mit deutscher Schnoddrigkeit steht, ist bei der Frau mit dem coolen Namen genau richtig. Heute ist leider schlecht ist eine Kolumnensammlung für schlechte-Laune Tage, oder eigentlich jeden Tag, denn schlecht kann der Tag ja noch werden. Nicht umsonst heißt das Buch im Untertitel „Beschwerden ans Leben“.

Ich lese ja immer mit dem Bleistift in der Hand, um mir Bemerkenswertes zu markieren. (Übrigens ein irrsinniger Nachteil von Hörbüchern! Das mit dem Markieren hab ich bis jetzt nicht durchschaut.) Bei von Rönne legte ich den Bleistift gar nicht mehr aus der Hand. Diese noch so junge Frau (Jahrgang 1992!) ist manchmal bemerkenswert weise – teil-weise sozusagen. (Bitte um Applaus für diesen großartigen Wortwitz!) Eine scharfzüngige Beobachterin („Der moderne Lebenslauf: Geburt, Schule, Arbeit, Burn-out, Ayurveda-Auszeit in Indien und Bikram-Yoga-Kurse in Berlin-Mitte.“), eine Nix-Scheißerin, eine Shitstorm-Küche quasi. Naja mit ein bisserl was über 20 darf frau auch noch mit antifeministischem Blödsinn provozieren. Wer fesch und jung ist, glaubt ja wirklich noch an die eigene Unverwundbarkeit!

Wer schon mal daran gedacht hat, ein Buch zu schreiben muss die Kolumne „So ist Schreiben“ lesen: Köstlich! (Natürlich ein bisserl kokett nachdem Wir kommen, ihr Debutroman nicht nur beim Feuilleton ganz gut ankam.)

Alle Paarungswilligen (im Sinne von Paar-Werdung, nicht das was ihr denkt!) werden auch beim Beginn der Kolumne „Wie man eine gesunde Beziehung führt“ ein Déja-vu haben: „Als Erstes trifft man sich in einer Bar und guckt. Dann schraubt man seine Ansprüche herunter und guckt nochmal.“

Das Kapitel über den Urlaub punktet mit der tiefen Einsicht: „Wer im Urlaub unglücklich ist, lernt vor allem eines: dass Zufriedenheit nichts ist, was sich automatisch einstellt, wenn nur alles Unangenehme aus den Tagen radiert wird, dass das Verzagen tiefer sitzt, knapp unter der Bauchdecke vielleicht.“

Oder das Kapitel über Familie: „Denn natürlich heißt Familie nicht „Leute mit wuscheligen Haaren und gutsitzenden Hosen, die ich aufgrund ähnlicher politischer Einstellungen und Humorverständnis ganz fabelhaft finde. Familiengeschichten  sind deshalb interessant und Stoff für Romane und Filme, weil Familie im seltensten Fall aus Leuten besteht, mit denen man so auch befreundet wäre. Familie das ist ist ein unordentlicher Knoten, ein Haufen komischer Leute mit irritiereden Interessen und seltsamen Frisuren, die ständig mit vollem Mund reden und alle die gleiche Stupsnase haben. In den allermeisten Fällen fragt man sich ungefähr ab dem achten Lebensjahr, ob man nicht den Einhorn-Schulranzen (Alles klar, von welcher Generation wir sprechen ? Anm. d. Red.) mit ein paar belegten Broten und der Kuscheldecke füllen sollte, um dann weit, weit fort zu laufen von diesen furchtbaren Menschen, die behaupten einen zu lieben, und einem dann Rote Beete zu Abendessen vorsetzen. Später wird das nicht besser. Eltern, das sind im besten Falle Leute die einem schöne Dinge (Koma-Saufen) verbieten und zu schrecklichen Dingen (Lebertran-Saufen) zwingen wollen. Eltern haben keinen Geschmack. Eltern hören schlechte Musik. Eltern sind scheiße angezogen. Eltern geben wenig Taschengeld. Eltern verstehen gar nichts. Eltern wissen  nicht was Instagram ist. Opfer. (…) Familie, das ist ein einziges, großes „Trotzdem“.“

Ronja von Rönne Heute ist leider schlecht: Beschwerden ans Leben. S. Fischer Verlag Frankfurt am Main 2017 978-3-596-03703-2 208 Seiten
Ronja von Rönne
Heute ist leider schlecht:
Beschwerden ans Leben.
S. Fischer Verlag
Frankfurt am Main 2017
978-3-596-03703-2
208 Seiten

Erster Satz: „Wenn ich an meine Kindheit denke, erinnere ich mich nur an Millionen Kieferorthopädenbesuche und AOL-CD Roms.“

Wer trotz dieses ersten Satzes jetzt mehr von von Rönne lesen möchte, kann die Welt am Sonntag abonnieren oder aber ihren Blog Sudelheft lesen. Dort sind auch viele Fotos, die klarmachen, wo für mich die Parallelen zu Stefanie Sargnagel liegen 😉

Wolf Küper, Eine Million Minuten

Wolf Küper, Eine Million Minuten

Bei manchen Büchern geht´s ja mehr um das Was als um das Wie – gerade bei True Storys. Insofern darf man sich stilistisch nicht zu viel erwarten bei  Wolf Küpers Eine Million Minuten. Dafür ist seine Geschichte umso rührender und netter und zeitgemäßer. Und auf jeden Fall lesenswert!

Der erfolgreichen Forscher Wolf Küper hat eine geistig behinderte Tochter. Der Umgang mit ihr beansprucht sehr viel Zeit und Geduld. Hauptbetreuungsperson ist die Mutter, während der Vater eine steile Karriere hinter und eine noch steilere vor sich hat. Er ist wenig zuhause, mit Aussicht auf noch weniger. Als Nina, seine Tochter, ihm eines Abends sagt: „Ach Papa, ich wünschte wir hätten eine Million Minuten. Nur für die ganz schönen Sachen, weißt du?“, stellt er seinen – scheinbar bilderbuchartigen – Weg infrage. „Erst die Arbeit dann das Spiel. Erst die Realität dann die Träume. Erst der Jackpot, dann die Reise. Aber eigentlich braucht man doch gar keine Million Euro. Sondern eine Million Minuten!“

Die Familie kommt zu der Entscheidung, sich diese Million Minuten zu nehmen, auf große Reise zu gehen und die Karriere zu verschieben. (Oder sie aufzugeben? Was nach der millionsten Minute passiert, erfahren die LeserInnen – leider – nicht.)

Es ist eine tolle Geschichte über die Relativität von Zeit, über das Loslassen, über das Sein und vor allem über das Sein-lassen.

Eine Million Minuten erzählt eine Geschichte, die Mut macht, sich ins Leben zu stürzen, ohne Garantie, dafür mit Zuversicht und Superkleber im Gepäck.“ (Klappentext)

Wolf Küper Eine Million Minuten Wie ich meiner Tochter einen Wunsch erfüllte und wir das Glück fanden Verlag Knaus 978 3 8135 0743 0 255 Seiten

 

Erster Satz: Finkelbach war der sehr angesagte Psychologe, der mit uns die erste echte Untersuchung durchführte.

 

 

 

Han Kang, Die Vegetarierin

Han Kang, Die Vegetarierin

Es war eine demokratische Entscheidung des Literarischen Quartetts (Aufmerksame LeserInnen werden bemerkt haben, dass uns schon ein Mitglied abhanden gekommen ist…), Die Vegetarierin der Südkoreanerin Han Kang zu lesen. Meine Stimme hatte sie nicht bekommen. (Ich hatte zum 2. Mal erfolglos für Peter Henisch Suchbild mit Katze gevoted.)  Trotz des vielen Lobes – „Meisterwerk“ Faz, „…bigger than Life“ Tagesspiegel, „ein Fest“ The Guardian und der direkten Anordnung „Sie müssen dieses Buch lesen!“ von Arnon Grunberg – war ich skeptisch: Skurrilität mag ich nur in Verbindung mit Humor. Und SüdkoreanerInnen waren mir bisher nicht als besonders witzig bekannt. Wobei ich zugebe, nur sehr wenige SüdkoreanerInnen zu kennen.

Aber abgemacht ist abgemacht. Ich hab mich in Die Vegetarierin hineingequält. Es ist nicht so, dass es nicht interessant wäre. Der schnörkellose Stil, die totale Unaufgeregtheit trotz des aufwühlenden Inhaltes, die doch sehr schräge Idee. Aber es hat mich nicht gepackt. Gar nicht. So sehr nicht, dass ich 30 Seiten vor Schluss (!) aufgehört habe zu lesen. Es hat mich schlichtweg nicht mehr interessiert. Das Bisschen Beziehung, das ich zur Protagonistin aufgebaut hatte, wurde jäh gekappt. Die neue Hauptdarstellerin war bisher kaum in Erscheinung getreten. Eine Randfigur, die kurz vor Schluss ins Zentrum der Geschichte gerückt wird.

Soll sein, aber nicht mit mir. Meine Lebenszeit ist mir mittlerweile zu knapp, um mich zu langweilen. Han Kang wird, das Lesezeichen auf S.161 verewigt, in die Bibliothek verbannt.

Meiner Freundin Ines hingegen hat das Buch sehr gut gefallen. Sie fand es sogar sexy!

Wer sich selbst ein Urteil bilden will, kann das Buch bei meiner neuen Lieblingsbuchhandlung Hartliebs bestellen. Hartliebs liefert versandkostenfrei. No need for Amazon!

Han Kang
Die Vegetarierin
aufbau Verlag
978 3 351 03653 9
190 Seiten

Erster Satz: „Bevor meine Frau zur Vegetarierin wurde, hielt ich sie in jeder Hinsicht für völlig unscheinbar.“

 

 

 

Hören! Andrea Wulf, Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur

Hören! Andrea Wulf, Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur

Alexander von Humboldt war der erste Science-Popstar der Weltgeschichte. Ganz ohne Telekommunikation schaffte er es, rund um den ganzen Erdball bekannt und verehrt zu werden! Er war der erste Ökofreak und der erste Gutmensch. Er erkannte vor 250 Jahren den von Menschen gemachten Klimawandel und legte den Zusammenhang zwischen Kolonialismus, Ausbeutung und Naturzerstörung dar.

Er war ein Gelehrter, der nie aufhörte zu lernen. Er teilte großzügig sein Wissen, war humorvoll und eloquent, ein zäher Ausdauersportler, ein echter Reinbeißer. Ein loyaler Freund und intellektueller Sparringpartner anderer Genies wie Goethe und Schiller.

Humboldt wurde 90 Jahre alt. Bis zum Schluss wachen Geistes und offen für Neues. Er inspirierte Künstler und Wissenschafter auf der ganzen Welt und bereitete vielen epochalen Erkenntnissen den Weg wie zum Beispiel Darwins Evolutionstheorie.

Andrea Wulf wird mit ihrer Biografie dem Superlativ dieses Mannes durchaus gerecht. Die ungekürzte Lesung von  Christian Baumann dauert fast 16h! Wulf widmet auch jenen Menschen Raum, die maßgeblich von Humboldt beeinflusst waren wie z.B. dem Schriftsteller Henry David Thoreau, John Muir, der als Großvater der US-amerikanischen Naturschutzbewegung gilt oder Charles Darwin, dessen revolutionäres Hauptwerk, die Entstehung der Arten nur einige Tage nach dem Tod Humboldts erschienen ist.

 

Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur
Andrea Wulf
Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur
Gelesen von Christian Baumann
Originaltitel: The Invention of Nature
Originalverlag: John Murray (Hachette), London 2015
Aus dem Englischen von Hainer Kober
ISBN: 978-3-8445-2375-1
Verlag: der Hörverlag

Der Sprecher, Christian Baumann, legt sein Rolle eher zurückhaltend an. Aber bei der Länge des Hörens ist frau dankbar für die Feinheit der Nuancen.

Hier geht´s zur Hörprobe

Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur ist 2015 zunächst auf Englisch erschienen. 2016 erhielt Andrea Wulf den Bayrischen Buchpreis. Das ZDF sagt über Andrea Wulf sie wäre „der neue Star der Sachbuch-Szene“. Für Denis Scheck, den bekannten Literaturkritiker der ARD, ist das Buch „Eine glänzende Lektüre, ein Abenteuerspielplatz des Geistes.“ Der Welt-Rezensent Matthias Glaubrecht ist da kritischer, er wirft Wulf die Überhöhung Humboldts vor. Auch der Standard ist mehr von der Form als vom Inhalt begeistert: „Glänzend erzählt, aber eher wenig reflektiert“ urteilt Oliver Hochadel.

Ich gebe eine uneingeschränkte Hör-/Leseempfehlung ab: So macht Geschichte-Lernen Spaß!

PS: Ich habe das Hörbuch als CD bekommen.Um es auf das iPhone zu bekommen, habe ich die Dateien über iTunes in meine Mediathek gespielt. Leider erkannte das Telefon nicht, dass es sich um ein Hörbuch handelte. Das hatte zur Folge, dass ich keine Lesezeichen setzen konnte und so nie wusste, wo ich das letzte Mal pausiert hatte. Zudem spielte der Zufallsmodus nachdem frau gerade zu Rag´n Bone Man die Hüfte geschwungen hatte, Kapitel 170 über die Humboldt´sche Russland-Expedition… Falls jemand eine Idee hat, wie das schlauer geht, bitte um Info!

PPS: Falls ihr Daniel Kehlmanns fiktives Aufeinandertreffen zwischen dem Mathematiker Gauß und Humboldt, Die Vermessung der Welt, noch nicht gelesen (oder gesehen) habt, wäre das eine großartige Gelengenheit!

Friederike Gösweiner, Traurige Freiheit

Friederike Gösweiner, Traurige Freiheit

Ich gehöre jetzt einem Literarischen Quintett an! Ist das nicht schön schrullig? Auf Betreiben meiner Freundin Ines treffen einander 5 Frauen um über ein Buch zu sprechen, über dessen Wahl demokratisch abgestimmt wurde.

Ich hatte  ja Peter Henisch, Suchbild mit Katze, nominiert. (Wie auf merksame LeserInnen wissen, liebe ich Henisch!) Außerdem gingen John Irving, Straße der Wunder, Heinrich Steinfest, Der Allesforscher und Martin Suter, Elefant, ins Rennen. Die Demokratie verdammte mich jedoch zu Traurige Freiheit.

Na wenigstens eine Frau, dachte ich, eine österreichische. Der Klappentext machte mir Angst. Die Geschichte beruflichen Scheiterns könnte man eventuell persönlich nehmen. Hoffnung machte mir hingegen das „Sprachkunstwerk“, das mir Klaus Zeyringer von Literatur und Kritik am Buchrücken versprach.

Ich mach´s kurz: Es gibt 2 gute Dinge an Traurige Freiheit: Es hat nur 143 Seiten und den Satz „Von hier nehmen, das musste man das Leben.“ Der Rest ist eine Aneinanderreihung von Ödnis inhaltlich wie sprachlicher Natur. Banale Metaphern, die alle mit irgendwie „Fallen“ zu tun haben.

„Es gab ja kein Entrinnen, nichts konnte den Mann retten. Und er war ganz allein, da war niemand sonst, niemand, der Notiz nahm von ihm. Er war ganz allein mit sich auf dem Foto. Er fiel und fiel und fiel, haltlos (sic!), verloren, allein. Es war bestürzend (sic!), das zu sehen (…)“

Echt jetzt: „haltlos“, „bestürzend“? Vielleicht ist diese begriffliche Flachheit ja schon wieder genial, bloß erkenne ich es halt nicht …

Andere sehen das ja auch anders. Sonst hätte Gösweiner wohl nicht den Öster. Buchpreis verliehen bekommen. Auch das Restquartett (oder ist das jetzt das Restqunitett?) war nicht ganz so kritisch. Christine war sogar sehr angetan! Es wäre ein Roman typisch für die Generation Y. Eine Generation, die nie gelernt hätte zu scheitern und letztlich daran zerbrechen müsse. Der fehlende sprachliche Manierismus wurde als mutig und konsequent beurteilt. Als Sprache der Zeit.

Schön war jedenfalls, mit anderen Literaturinteressierten darüber zu sprechen. Zu hören, dass es durchaus auch eine andere Rezeption als die eigene gibt. Dazu hat mensch ja nur selten die Gelegenheit. (Mit dem Feuilleton lässt sich schwer in Dialog treten…)

Friederike Gösweiner Traurige Freiheit Verlag Droschl 9783854209768 143 Seiten
Friederike Gösweiner
Traurige Freiheit
Verlag Droschl
9783854209768
143 Seiten

Erster Satz: „Dann hat es wohl keinen Sinn mehr“, sagt Hannah.

Bis zum nächsten Mal wird´s eine Weile dauern. Wir haben uns den 900 Seiten starken Roman Ein wenig Leben der Hawaianerin Hanya Yanagihara vorgenommen, den mir am selben Tag auch meine Freundin Petra ans Herz gelegt hatte.

Meanwhile höre ich den zweiten Band des neapolitanischen Familienepos´ von Elena Ferrante. Seeehr zu empfehlen!


PS: Danke für den Motivationsschub an Flo Schmidt, der einen neuen Blogbeitrag urgierte & auch bekam 😉

Joachim Meyerhoff liest Ach diese Lücke, diese entsetzliche Lücke

Joachim Meyerhoff liest Ach diese Lücke, diese entsetzliche Lücke

Großartiges Hörvergnügen auf höchstem Niveau!

Dieses Hörbuch ist nicht für das Hören in der Öffentlichkeit gemacht. Es sei denn, mensch ist völlig humorbefreit, kann sich das Lachen für den Keller aufheben oder ist schambefreit. Denn: lautes Lachen garantiert!

Joachim Meyerhoff, Autor und Schauspieler, liest sein eigenes Buch. Er tut dies so eindringlich und authentisch, dass ich eine unbedingte Empfehlung für das Hörbuch ausspreche. Meyerhoff gibt die Erlebnisse seiner Studentenjahre, die er bei seinen Großeltern wohnend verbracht hat, extrem herzhaft wieder. Selten wurden Familienmitglieder, -traditionen,  und Spleens dermaßen witzig beschrieben: Der bourgeoise Habitus, die Divenhaftigkeit der Großmutter, Großvaters Hyperintellektualität, beider intensiver und regelmäßiger Alkoholkonsum, die Marotten die sich über die Jahre gefestigt haben, die physischen und psychischen Ausfälle, die Gewohnheit und Altern mit sich bringen.

Köstlich auch das Kapitel über die Aufnahmeprüfung in die Schauspielschule, die Meyerhoff – trotz explizierter Unengagiertheit – zu seiner großen Überraschung, geschafft hat. Oder die Erinnerung an den Familienausflug mit Picknick, der ein fatales, automobiles Ende nimmt.

Meyerhoffs Vortrag ist extrem dicht und laut und dennoch sehr intim. Fast hetzt er duch seine Jugendjahre, soviel hat er zu erzählen. Wenn er den alkoholischen Tagesablauf seiner Großeltern beschreibt, fühlt sich die Zuhörende spätestens zu Mittag ebenfalls beschwipst. Selbst den Tod des Großvaters weiß Meyerhoff komisch nachzuerzählen, wenngleich man ihm den Schmerz ob des Verlustes deutlich anhört.

Falls ihr euch (oder anderen) zu Anfang des neues Jahres etwas Gutes tun wollt, gönnt euch dieses Hörbuch! Es ist prachtvoll-komisch, sehr gescheit und äußerst liebenswert!

ach-diese-luecke

Hörprobe

Hohes Suchtpotenzial, erschreckend aktuell: Greg Iles, Natchez Burning (Hörbuch)

Hohes Suchtpotenzial, erschreckend aktuell: Greg Iles, Natchez Burning (Hörbuch)

Ihr habt Glück, dass ich überhaupt einen neuen Blogbeitrag schreibe. Meine freie Zeit verbringe ich die letzten Tage nahezu ausschließlich kopfhörend. In meinen Ohren dröhnt der tiefe Bass von Uve Teschner. Er beamt mich in Sekundenschnelle nach Natchez, Louisiana: Dort versucht Penn Cage, Bürgermeister der Kleinstadt am Mississippi, seinen Vater, den hochangesehenen Gemeindearzt, vom Vorwurf des Mordes reinzuwaschen. Doch das Kratzen an der Oberfläche einer Gesellschaft, in der immer noch primitivster Rassismus gepaart mit mafiösen Strukturen, herrschen, bekommt den wenigen Aufrichtigen nicht gut. Und schon sind wir mittendrin in einer extrem spannenden, extrem brutalen (einziger Kritikpunkt!) Geschichte, der man nicht mehr auskommt…

Sehr schädlich für die Kommunikation in der Familie und das Golfspiel. Sehr bewegungsfördernd für den Hund, der sich wundert, dass die Spazierrunden immer länger und die Aufmerksamkeit vom Fraudi immer geringer wird.

Natchez Burning Autor: Greg Iles Gesprochen von: Uve Teschner Spieldauer: 32 Std. 28 Min. Anbieter: Random House Audio, Deutschland
Natchez Burning
Autor: Greg Iles
Gesprochen von: Uve Teschner
Spieldauer: 32 Std. 28 Min.
Anbieter: Random House Audio, Deutschland

Hörprobe

 

Hörbuch: Alexander von Schönburg, Weltgeschichte to Go, gelesen von Christoph Maria Herbst

Hörbuch: Alexander von Schönburg, Weltgeschichte to Go, gelesen von Christoph Maria Herbst

Wer, wie ich, in allen Fahrzeugen zur Übelkeit neigt und daher in eben jenen unmöglich lesen kann, dem seien Hörbücher aller Art zu empfehlen. Vor allem jene, bei denen man – im Vorbeigehen, bzw. -fahren – gut unterhalten oder gescheiter wird. Im besten Fall sogar beides. Das trifft jedenfalls auf Alexander von Schönburgs Weltgeschichte to go zu.

Kaum hatte ich das – einzelne Fächer mehr betreffende – Schultrauma überwunden, also so mit 35-40 Jahren, begann ich mich für das zu interessieren, was mich in der Schule besonders langweilte: Geschichte. Und zwar für die Geschichten in der Geschichte und die Geschichten hinter der Geschichte – sprich Geschichtstheorie. Die Darstellung der Vergangenheit ist ja wesentlich geprägt von der Motivation des Erzählenden, seiner Biographie/Ideologie, seiner Ziele oder der seine Auftraggeber. (Hier erspare ich mir ganz bewusst das Gendern, Geschichtsschreibung ist zu größten Teilen eine rein männliche Angelegenheit. )

Alexander von Schönburg ist Journalist. Er kann von Berufs wegen toll Geschichten erzählen. Und genau das macht er in Weltgeschichte to go: Er erzählt spannende Geschichten, klärt uns über die größten Missverständnisse bzw. Fehlinmformationen der Weltgeschichte auf und schafft es – ganz social-media-gerecht – jedes Kapitel mit einer Bestenliste zu beschließen! „Infotainment at it´s best“ (Randomhouse). Und ich würd´s nicht abschreiben, wenn ich nicht dieser Meinung wäre.

Christoph Maria Herbst (aka Stromberg) ist ein sehr deutscher Sprecher und wirkt daher ein bisserl schnöselig. Doch sein Timbre ist super angenehm und sein  schauspielerisches Talent verleiht dem Text eine großartige Lebendigkeit.

Ein perfektes Hörbuch für alle Lebenslagen: U-Bahn-, Wald- und Sonnenbad-erprobt, das uns in 5 Stunden wieder ein bisschen gescheiter macht und uns wehmütig daran erinnert, was Schule alles nicht geleistet hat…

Weltgeschichte to go Alexander von Schönburg Gesprochen von: Christoph Maria Herbst Spieldauer: 05 Std. 12 Min. Random House Audio, Deutschland
Weltgeschichte to go
Alexander von Schönburg
Gesprochen von: Christoph Maria Herbst
Spieldauer: 05 Std. 12 Min.
Random House Audio, Deutschland

Zu Hörprobe