Madeline Miller, Ich bin Circe

Madeline Miller, Ich bin Circe

So macht griechische Mythologie Spaß!

Ich hab ein bisschen gebraucht um in „Circe“ hineinzufinden, aber dann ließ sie mich nicht mehr los. Es ist tatsächlich eine großartige, spannende Geschichte über die Entwicklung einer Nymphe (sic!) zu einer gereiften, selbständigen, unabhängigen Frau.

Ja, sie ist eine Göttin und hat für ihre Entwicklung wortwörtlich eine Ewigkeit Zeit. Aber auch sie unterliegt den Gesetzen einer sehr patriarchalen Ordnung, mit all den Einschränkungen – und Privilegien – , die das Dasein als niedrige Gottheit mit sich bringt. Erst in ihrer Verbannung, also zurückgeworfen auf sich selbst, entdeckt und entfaltet sie ihr Talent.

Man kann „Ich bin Circe“ als rein unterhaltsame Fantasy-Geschichte lesen oder aber als Metapher für die westliche Gesellschaft, das Verhältnis zwischen Mann und Frau und als Affirmation, dass es Frauen gelingen kann, sich einer „gegebenen“ Weltordnung zu widersetzen. Allerdings nicht ohne Opfer und Schmerzen und Stärke, die weit über die männliche hinausgehen muss. Am Ende des Weges aber (nicht des Lebens) wartet ein äußerst erstrebenswerter Zustand: die Selbstbestimmung.

Madeline Millers „Ich bin Circe“, in der Übersetzung von Frauke Brodd, ist ein kluger, spannender, literarisch wertvoller Roman, der uns weiterbildet aber uns die griechische Mythologie endlich einmal aus einer weiblichen Perspektive näherbringt. Die Deutungshoheit gehört nun nicht mehr den Männern, den Heliossen, Odysseussen und Hermessen, sondern einer emanzipierten Nymphe.

Frau kann verstehen, warum sich Männer gegen diesen Wandel wehren. Die naturgegebene göttliche Omnipotenz zu verlieren und Macht plötzlich teilen (sic!) zu müssen, ist sicher schmerzhaft. Doch mein Mitleid hält sich in Grenzen…

Madeline Miller
Ich bin Circe
Übersetzt von Frauke Brodd
Eisele Verlag
Taschenbuch, 528 Seiten
ISBN 9783961610686

Erster Satz

„Als ich geboren wurde, gab es für das was ich war, keinen Namen.“

Donna Tartt, Der Distelfink

Donna Tartt, Der Distelfink

Ja, ok, es ist nicht besonders originell, einen mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten Roman zu loben. Ich will es dennoch tun, denn ich bin wirklich begeistert!

Und das, obwohl ich zunächst skeptisch war. Der Klappentext hat mich eher abgeschreckt als angezogen, auch das Coverbild des Taschenbuchs versprach mehr bildungsbürgerliche Langeweile als packende Story. Doch dann packte es mich doch das Schicksal des Theo Decker und ließ mich über lange Strecken nicht mehr los. Ich gebe zu, manches habe ich nur quergelesen – einerseits weil es zu schmerzhaft, anderseits weil es mir dann doch zu langatmig war. Aber bei über 1.000 Seiten, kann man schon mal großzügig sein…

Ich habe ein intensive Beziehung zu Theo Decker entwickelt. Ich habe seinen russischen Freund Boris zu hassen, aber auch zu bewundern gelernt – dieses Leben am Abgrund, wenn man nichts mehr zu verlieren hat. Ich staunte über Theos Leben als Jugendlicher, wie er zusammen mit Boris in einer unvorstellbaren Einöde am Rande der Großstadt verwahrlost. Wie egal das allen ist. Wie beziehungsunfähig seine „Bezugs“personen sind, und wie sehr er sie trotz aller Vernachlässigung vermisst.

Ich wollte unbedingt, dass sich der junge Mann endlich emanzipiert, sich dieses Bildes entweder bemächtigt oder endgültig entledigt. Ich konnte seine Obsession in keiner Weise nachvollziehen.

Nachfühlbar sind hingegen die drogeninduzierten Räusche und die darauf folgenden Entzugserscheinungen – die abgrundtiefe Hoffnungslosigkeit (Pleonasmus?), die chemisch ausgewrungene Serotoninspeicher hinterlassen. Wie ein Leben, das so viele Löcher hat, ohne künstliche „Stupfen“ (so hat meine Oma die gestopften Stellen in den Socken genannt), nicht zu bewältigen ist. „Denn dies ist die Wahrheit: Das Leben ist eine Katastrophe.

Das einzig stabile im Leben des Theo Decker sind schöne Dinge: Denn während man beschädigte Möbel restaurieren kann, gelingt das mit Menschen nicht.

„Denn zwischen der >>Realität<< auf der einen Seite und dem Punkt, an dem der Geist die Realität trifft, gibt es eine mittlere Zone, einen Regenbogenrand, wo die Schönheit ins Dasein kommt, wo zwei sehr unterschiedliche Oberflächen sich mischen und verwischen und bereitstellen, was das Leben nicht bietet: Und das ist der beste Raum, in dem alle Kunst existiert und alle Magie.“

Cover Donna Tartt der Distelfink Taschenbuch
Donna Tartt
Der Distelfink
übersetzt von Rainer Schmidt und Kristian Lutze
4. Auflage 2015, Taschenbuch, Goldmann Verlag, 1.024 Seiten
978-3-442-47360-1

Erster Satz

„Noch während meines Aufenthalts in Amsterdam träumte ich zum ersten Mal seit Jahren von meiner Mutter.“

Elizabeth Strout, Die langen Abende

Elizabeth Strout, Die langen Abende

Für manche Bücher ist man zu alt, für andere ist man zu jung. Für den Roman der amerikanischen Pulitzer-Preis-Gewinnerin Elizabeth Strout bin ich jedenfalls (noch?) nicht die richtige Zielgruppe. Wobei: Wer will schon zu irgendeinem Zeitpunkt so genau wissen, wie es sich anfühlt zu altern? Ich meine: So richtig zu altern! Mit Inkontinenz und Demenz und weiteren entwürdigenden Zuständen.

Aber wenn man darüber lesen will, dann ist Strouts Heldin Olive Kitteridge die richtige. Schon immer widerborstig und vorlaut, bewältigt sie auch die Herausforderungen des Älterwerdens mit distanzierter Selbstironie. Die Einsamkeit, unter der sie zuweilen leidet, macht sie nicht angepasster. Da sie oft einfach sagt was sie denkt, kommt sie mit ihren Mitmenschen nicht gut aus. Dabei verbirgt sie hinter ihrer Ruppigkeit ein mitfühlendes Herz und ehrliches Interesse.

Strout, Jahrgang 1956, beschreibt die Fogen und Begleitumstände des Alterns schonungslos: die Kinder, die sich – auch weltanschaulich – entfernen, die Freund*innen und Ehemänner, die wegsterben, der Verlust der Attraktivität – und damit einhergehend die Erkenntnis, dass sich niemand mehr in einen verlieben wird. Es sind ein paar große und tausend kleine Abschiede, die Olive hinnehmen muss. Mal gelingt ihr das besser, mal schlechter.

Dennoch ist Die langen Abende kein deprimierendes Buch. Olives genaue Beobachtungsgabe, ihre unzensurierten Schlussfolgerungen und ihre Schnoddrigkeit machen das Buch eher lustig zu lesen. Vor allem dann, wenn man es schafft, zu verdrängen, dass wir alle (hoffentlich?) einmal so alt werden…


Elizabeth Strout
Die langen Abende
übersetzt von Sabine Roth
352 Seiten
btb Taschenbuch
978-3-442-77049-6

Erster Satz

An einem Samstag im Juni, kurz nach Mittag, setzte Jack Kennison die Sonnenbrille auf, ließ das Verdeck seines Sportwagens herunter, spannte den Gurt über seinen nicht eben kleinen Bauch und fuhr von Crosby, Main, hinüber ins fast eine Stunde entfernte Portland, um sich seinen Whiskey dort zu kaufen, weil ihm nicht danach war, im hiesigen Lebensmittelladen Olive Kitteridge in die Arme zu laufen.

George Packer, Die Abwicklung

George Packer, Die Abwicklung

Mehrfach ausgezeichnetes Buch über den (wirtschaftlichen) Niedergang der USA seit den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts. Fesselnd geschrieben und auch für nicht-Auskennerinnen ein Sachbuch, das frau zügig durchliest.

Packer, Mitglied der Redaktion des New Yorker, liefert in Die Abwicklung – Eine innere Geschichte des neuen Amerika – tiefe Insights in ein kaputtes politische System, in dem die Demokratie praktisch abgeschafft ist. Präsidenten und Gesetze werden von Kapital und Konzern-Lobbyisten gemacht. Die BügerInnen sind nur noch zur quasi-Legitimation da und zur (finanziellen) Ausbeutung. Was Amerika heute noch zusammenhält ist die Gier.

Packer analysiert das System anhand paralleler Biografien – wie z.B. jener der einfachen Industriearbeiterin Tammy Thomas, der des Politikberaters Jeff Connaughton, der jahrelang den Republikaner Joe Biden unterstützte oder des Biodiesel-Pioniers Dean Price. Auch in unseren Breiten bekanntere Persönlichkeiten wie Oprah Winfrey, Silicon Valley-Milliardär Peter Thiel oder der Rapper Jay Z kommen vor.

Ausführlich beschreibt der Autor die Finanz- und Immobilienkrise und wer davon am meisten profitiert (hat). Er legt dar, warum bisher niemand Rechenschaft ablegen musste dafür, dass hundertausende Amerikaner ihr Erspartes und/oder ihr Dach über dem Kopf verloren haben.

Es ist eine fesselnde, wenn auch bestürzende Geschichte, die Packer erzählt. Am Ende wünscht man sich, dass alles nur erfunden wäre. Ein packender Wirtschaftskrimi, der nichts mit der Realität zu tun hat …

 

die Abwicklung
George Packer
Die Abwicklung
übersetzt von Gregor Hens
Verlag S. Fischer
512 Seiten
9783100001573

The Unwinding heißt das Buch im Original. Es wurde mit dem National Book Award ausgezeichnet und erhielt in den USA wie auch im deutschsprachigen Raum hymnische Rezensionen. So schreibt z.B. Die Zeit: „Die Abwicklung ist besser als jeder Roman.“, die New York Times Book Review: „Packend, tief berührend, herausragend erzählt.“

Erster Satz: Niemand kann mit Sicherheit sagen, wann die Abwicklung begann – wann die Bürger Amerikas zum ersten Mal spürten, dass die Bande sich lösten, die sie sicher, manchmal erdrückend fest wie eine eng gewicklete Spule, zusammengehalten hatten.“