Im Nebel des Grauens. Mein NLP-Einführungs- seminar.

Im Nebel des Grauens. Mein NLP-Einführungs- seminar.

img_2217In meiner Kindheit muss ja ziemlich viel schief gelaufen sein. Was ich ich für „schädliche“ Glaubenssätze mit mir herumschleppe! Was für ein „suboptimales“ Leben ich doch führe!

Der Herr, dem ich diese Erkenntnis verdanke ist „Österreichs Nr. 1 Coach“* René Otto Knor. Wissbegierig wie ich bin, wollte ich mir über NLP mein eigenes Bild machen, hatte ich doch von NLP nur Schlechtes gehört. Und das nicht erst seit „Ich-freu-mich-so“-Hofer. Also hatte der mich kalt akquirierende Verkäufer Strategieberater ein leichtes Spiel. Er riet mir nachdrücklich zu einem 2tägigen NLP Einführungsseminar um € 130,- in der Wolke 19. Schon die Location reizte mich. Und vielleicht ist NLP ja doch besser als sein Ruf…

/Cool ist, dass wir gratis zu John Harris im DC-Tower gehen dürfen. Das nütze ich natürlich gleich aus und laufe unter Reichen und Fitten mit Aussicht auf Donaukanal  Donauinsel und Kahlenberg, gehe in die Biosauna, die nur für mich geöffnet hat./

Es beginnt schon unsympathisch mit Bevormundung: Es gibt nur koffeinfreien Kaffee. (JedeR ist zwar für seine Gesundheit selbst verantworlich, aber bei so gefährlichen Drogen wie Koffein muss der verantwortungsvolle Veranstalter Vorsich walten lassen!) Dafür aufmunternde Musik wie The Winner takes it all, One Moment in Time, Ein Hoch auf uns, We are the Champions, … ***du verstehst was wir meinen, zwinker, zwinker***

Erstes Fremdschämen als der alleskönnende Vortragende (Nr. 1 Lebenserfolgs-Coach, Bestsellerautor, Aufstellungsleiter, Feuerlauftrainer, Schamane, …) auf die Bühne „geklatscht“ wird (von der eigens mitgebrachten Claque wie sich heraustellen soll). Nicht mehr nur Fremd- sondern Eigenschämen spätestens beim „Sackhüpfen mit dem Sessel“ mit finaler  Abschlussjubelgeste (alles mit Faust ist gut). Dann mehr Angst als Scham, als 140 Menschen gleichzeitig und immer schneller hüpfen und laut ein-und ausatmen (das klingt wie wenn eine Armee marschiert…). Und noch enige weitere Male das ziehende Gefühl in der Magengegend (Wo ist das Loch in der Erde!?) während der 1,5 Tage. (Ich hab vorzeitig abgebrochen, weil mich meine falschen Glaubenssätze daran hindern das Schlussritual zu vollziehen. (Abschlusstanz, Abklatschen mit René, One Moment in Time, gaaanz großes Kino!)

Aber jetzt mal abgesehen vom TschakkaTschakka, konnte ich mit ein paar Inhalten wirklich was anfangen. Vor allem, dass mensch aus seiner Komfortzone heraus muss, um sich weiterzuentwickeln. Ja ich weiß eh, ein No-na, aber dennoch wichtige Botschaft. Ich bin auch der Überzeugung, dass wir alle schädliche Glaubenssätze mit uns herumschleppen, die uns in unserer Entwicklung behindern. Leider wird diese Entwicklung in der Knor´schen Interpretation nahezu ausschließlich im Sinne von wirtschaftlichem Erfolg verstanden. (Ausschließlich männliche) Beispiele wie Donald Trump, Armanzio Ortgea (Zara-Eigentümer), Bill Gates wurden herangezogen. 100 Millionen Euro als erstrebenswertes Einkommensziel angesetzt. (Pflegende und Haushaltsführende sind übrigens deshalb nicht reich, weil sie am Helfersyndrom leiden und deshalb nicht genug Geld fordern. Mutter Teresa tat was sie tat um „bedeutsam“ zu sein.)

Der Grundgedanke ist der: Du allein bist ganz allein für dein Glück verantwortlich. Bist du nicht reich? Deine schuld! Bist du nicht gesund? Deine Schuld! Kennst du nicht die richtigen Menschen? Deine Schuld. Hast du nicht genug Pension? Hättest dich mal früher drum kümmern müssen! Mit der richtigen Einstellung, den richtigen Glaubenssätzen kannst du alles erreichen.

Nichts gegen Selbstverantwortung. Aber wenn mensch das weiterdenkt, dann landen wir bei einer völlig entsolidarisierten Gesellschaft. Wenn jedeR in der Lage ist, für sich selbst zu sorgen, dann braucht die Gesellschaft es ja nicht zu tun!

Wer Knors NLP-Interpretation zu Ende denkt, landet beim Faschismus: Wenn du nämlich nicht glaubst, was dir hier erzählt wird, dann hast du eben falsche Glaubenssätze, von denen du dich befreien musst, denn es sind „suboptimale geistige Zustände“.

Meine falschen Glaubenssätze hindern mich auch Spaß daran zu haben, wildfremde Menschen zu umarmen, gemeinsam mit ihnen den Guru am zweiten Tag frenetisch herbeizuapplaudieren und am Ende des Seminars die „größte Chance meines Lebens“ zu ergreifen und sofort um ein paar tausend Euro den NLP-Practitioner und den Master zu buchen. („Zögere nicht! Zögern bringt nichts!“) Ich habe sogar widerstanden Knors Bestseller  Ja, Ich bin mir s!cher (sic!) zu kaufen. Ich unbelehrbares Würstchen.

Daher werd ich auch keine 1.000,- Euro Stundenhonorar verlangen können und stets ein suboptimales Leben führen. Anders als die geschätzen 60%, die diese einmalige Gelegenheit nützen und gleich unterschreiben. (Das Pensionssystem dankt!)

Die Methoden/Tricks auf der Metaebene

  • sprich dein Publikum mit „liebe Freunde“ an
  • lass das Publikum deine Sätze vollenden
  • und gib ihm dann Recht
  • mach bedeutungsvolle Pausen
  • zitiere große Männer (Schopenhauer, zufällig der Erfinder der Eristik, der destruktiven Rhetorik)
  • zitiere große Studien  am besten von großen Konzernen (IBM)
  • wiederhole alles Bedeutsame 2-3 Mal hintereinander
  • belege deine Thesen mit Einzelfällen

Angeblich gibt es viele „Schulen“ des NLP. Das Schicksal hat mich zu René Oto Knor getrieben. Mein NLP-Bedarf ist gedeckt. Time to say Goobye!

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Im Falter sind anlässlich der x-ten Bundespräsidentenwahl meherer Artikel zu NLP und schwarzer Rhetorik erschienen sowie eine Videoanalyse von Norbert Hofer.

https://www.falter.at/falter/e-paper/lesen/462/falter-46-16
https://cms.falter.at/falter/2016/11/15/hinter-der-maske/

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*Zitate in kursiv und unter Anführungszeichen sind Originalzitate von René Otto Knor

PS: Danke an Nadja und Andrea, die ich dort kennen- und schätzen gelernt  habe. Wir hatten trotz allem sehr viel Spaß!

3 Kommentare zu “Im Nebel des Grauens. Mein NLP-Einführungs- seminar.

  1. Um aus der Komfortzone zu kommen brauchts kein NLP Seminar. Geh mal zu einem Improtheater-Workshop. Da wird dir nicht das Gehirn gewaschen wie in diesem Seminar, sondern du bekommst auf normale Weise Selbstbewusstsein. 🙂

    1. Hallo Georg, Verbleib in der Komfortzone heißt ja nicht zwangsläufig mangeldendes Selbstbewusstsein. Aber Improvisationsworkshop steht schon seit einiger Zeit auf meiner wish-list! Das wird heuer sicher was!

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